Title: Minorit
1Minoritätseinfluss
- Vorlesung
- Sommer 2011
- Thomas Kessler
2Überblick
- Grenzen der Konformität
- Moscovicis Konversionstheorie
- Nemeths Unterscheidung zwischen divergentem und
konvergentem Denken - Social Impact Theorie
- Minderheits- und Mehrheitseinfluss Ein oder zwei
Prozesse?
3Leitfragen
- Wie können Minoritäten Einfluss gewinnen?
- Welche Arten von Einfluss können Minoritäten
haben? - Wodurch unterscheidet sich der Einfluss von
Minderheiten und Mehrheiten?
4Konformität
- Majoritäten erzeugen einen Konformitätsdruck
durch informativen und normativen Einfluss. - Beispiel Pluralistische Ignoranz
5Konformität
- Nochmal Aschs Linien Experiment
C
A
B
Standardlinie Vergleichslinien
Wird in Aschs Untersuchung Mehrheitseinfluss
untersucht?
Unklar! Es könnte auch Minoritäteneinfluss sein!
6Konversionstheorie
- Moscovici (1976, 1980)
- Konsistenter Verhaltensstil der Minderheit
- synchron Einigkeit der Minderheitsmitglieder
- diachron Konsistenz über Zeitpunkte und
Gelegenheiten
7Konversionstheorie
- Folgen eines konsistenten Verhaltensstils
- Konflikt und damit Voraussetzung für Veränderung
wird geschaffen - Attribution von Sicherheit und Überzeugtheit
8Konversionstheorie
- Die Frage Was ist richtig? und damit der
inhaltliche Konflikt treten in den Vordergrund - Folge Ausführliches Nachdenken über die Position
der Minderheit
9Konversionstheorie
- In Reaktion auf ausführliches Nachdenken erfolgt
Konversion, also eine Einstellungsänderung. - Konversion hat folgende Charakteristika
- privat (nicht öffentlich)
- indirekt (bei verwandten Themen)
- generalisierend (auf Themenkomplexe)
- zeitstabil und situationsunabhängig
- zeitverzögert
10Mehrheitseinfluss (Moscovici)
- Die Frage Wer hat Recht? (Nicht Was ist
richtig) und damit der soziale Konflikt (und
nicht der inhaltliche) treten in den Vordergrund - Folge Kein inhaltliches Nachdenken sondern
Nachgeben (Compliance) - Compliance ist keine wirkliche Konversion
- nur öffentlich (nicht privat)
- direkt beim fokalen Thema
- nicht generalisierend
- instabil und situationsabhängig
11Empirische Belege
- Das klassische Experiment von Moscovici, Lage und
Naffrechoux (1969) - Experimentalbedingung Vier echte
Versuchspersonen, zwei Konfidenten des
Versuchsleiters Kontrollbedingung Sechs echte
Versuchspersonen - Aufgabe Farbe von Dias benennen (alle Dias waren
blau) - 36 Durchgänge, Konfidenten antworten entweder
immer mit Grün (konsistente Minorität) oder 12
mal mit Blau und 24 mal mit Grün
(inkonsistente Minorität).
12Empirische Belege
9
8
7
6
Prozent der Grün Antworten
5
4
3
2
1
Control
Inconsistent minority
Consistent minority
Prozent grün Antworten der Majoritätsmitglieder
(Moscovici, Lage, Naffrechoux, 1969)
13Empirische Belege
Berichtete Farbe des Nachbildes als Funktion des
Einflusses durch Minorität und Majorität Versuchsp
ersonen unter Majoritätseinfluss, die
fälschlicherweise blaue Farben als grün
identifizierten änderten nicht ihr berichtetes
Nachbild. ABER, Versuchspersonen unter
Minoritätseinfluss die blaue Farben als grün
identifizierten veränderten ihr berichtetes
Nachbild. Der Effekt blieb auch einige Zeit nach
dem Einfluss bestehen (Moscovici Personnaz,
1980).
14Empirische Belege
- Konsistenz als entscheidende Voraussetzung für
Einfluss nachgewiesen jedoch führt Rigidität zur
Psychologisierung (Mugny, 1975) - Indirekter Einfluss gewöhnlich größer als
direkter Einfluss (z. B. Nachbildeffekt) - Auch Mehrheiten mit privatem Einfluss
- Nach Mackie (1987) wird Information von der
Mehrheit aufwändiger verarbeitet - Erklärung objective consensus - Mehrheit
vertritt die wahrscheinlich richtige Position - Aufwändige Verarbeitung führt nicht immer zu
Konversion (z.B. bei schwachen Argumente)
15Minoritätseinfluss Kreativität
- Nemeth (1986) Einfluss wirkt nicht nur auf
Einstellungen sondern vor allem auch auf
Denkprozesse.
Minorität Majorität
Kein Stress Stress
Position wird in Frage gestellt Position wird übernommen
Erleichtert Infoverarbeitung Behindert Infoverarbeitung
Beachtung von Alternativen Fokus auf gegebene Info.
Divergentes Denken Konvergentes Denken
16Minoritätseinfluss Kreativität
17Minoritätseinfluss Kreativität
- Vielfache Bestätigung des Konvergenz-Divergenz-Eff
ekts - Konvergent nicht notwendig aufwändiger als
divergent (Peterson Nemeth, 1996) - Konflikt als Erklärung jedoch fraglich (Erb et
al., 1998) - Befriedigende Erklärung des Divergenz-Effekts
liegt bis heute nicht vor
18Differential Processing Model
- De Vries, De Dreu, Gordijn Schuurmann, 1996
Konflikt mit Mehrheit Minderheit
Oberflächliche Verarbeitung (häufiger bei Min.) Zustimmung Ablehnung
Tiefere Verarbeitung (häufiger bei Maj.) Konvergentes Denken (kurzlebig, direkt) Divergentes Denken (langlebig, indirekt)
19Differential Processing Model
- Bisher keine direkten Tests durchgeführt
- kompatibel mit unterschiedlichen Befunden von
- Mackie(1987) ausführlichere Verarbeitung bei
Mehrheiten - Moscovici (1980) (in)direkter Einfluss bei
Mehrheiten (Minderheiten) - Nemeth (1986) divergentes, aufwändiges Denken
bei Minderheiten
20Theorien ohne Konfliktannahme
- beruhen auf der Idee, dass sich die Mehrheit der
Minderheit der eigenen Gruppe gegenüber
verpflicht fühlt - gemeinsame Gruppenziele
- sozial geteilte Realität
- Zusammengehörigkeit
- Einfluss durch Minderheit innerhalb der
Eigengruppe (Kategorisierung allerdings
situationsabhängig Turner, 1991)
21Theorien ohne Konfliktannahme
- Beispiel Theorie der idiosynkratischen Kredite
(Hollander, 1958,1985) - Minderheit zeigt sich als der Mehrheit
verpflichtet, betont Übereinstimmung bei vielen
(anderen) Themen und gewinnt so Einfluss bei
einem spezifischen Thema
22Theorien ohne Konfliktannahme
- Beispiel Leniency-Contract-Model (Crano
Chen, 1998) - Mehrheit lässt gegenüber Minderheit Milde
walten - Minderheit verzichtet im Gegenzug auf direkten
Einfluss - Resultat indirekter Einfluss auf verwandten
Themen (Veränderungen in der Einstellung zum
Waffentragen verändert indirekt die Einstellung
zu Homosexuellen in der Armee)
23Social Impact Theory
- Social Impact Theory (Latané Wolf, 1981)
- Einfluss als eine multiplikative Funktion von
- Kraft (Status, Macht)
- Nähe (räumlich, zeitlich)
- Größe der Einflussgruppe
- Für Gruppengröße ergibt sich eine negativ
beschleunigte Funktion der Anzahl der
Einflussquellen
24Social Impact Theory
- Zusammenhang zwischen Größe der Einflussquelle
und sozialem Einfluss
25Social Impact Theory
- Minderheitsstatus lässt sich mit erhöhter Kraft
und größerer Nähe ausgleichen - Minderheits- und Mehrheitseinfluss durch ein und
denselben Prozess erklärbar - Befunde Meta-Analysen über eine Vielzahl von
Studien (bis Mitte 80er Jahre) - Kritik Zugrunde liegende psychische Mechanismen
werden vernachlässigt
26Ein oder zwei Prozesse?
- Minderheits- und Mehrheitseinfluss Ein oder zwei
Prozesse? - Probleme
- sehr unterschiedliche Operationalisierungen
zwischen Studien - Gruppensituation oder abstrakte Information
- Eigengruppe, Fremdgruppe, reale Gruppen,
irrelevante Gruppen - unterschiedliche Definitionen der Minderheit, z.
B. numerisch vs. Macht - Minderheits- oder Mehrheitseinfluss vs.
Minderheits- und Mehrheitseinfluss - direkter vs. indirekter Einfluss, private vs.
öffentliche Urteile - kognitive Prozesse (Mediatoren)
27Ein oder zwei Prozesse?
- Integration von Faktoren, die Einfluss verändern,
z. B. - Attributionen (Sicherheit, Überzeugtheit)
- double minorities (Eigeninteresse)
- Zeitgeist
- Identifikation (Grundlage für normativen Einfluss
der Mehrheit) - etc.
- Kruglanski Mackie (1990)
- Sind solche Variablen notwendigerweise mit dem
Status der Einflussquelle als Minderheit oder
Mehrheit verknüpft?
28Ein oder zwei Prozesse?
- Antwort bei Kruglanski Mackie (1990)
- Nein!!!
- positive Attributionen fördern Einfluss
beliebiger Quellen (z. B. Distinktheitseffekt). - wahrgenommenes Eigeninteresse behindert Einfluss
generell. - positiv bewertete Minderheiten können Ziel von
Identifikation sein (vgl. Graue Masse). - Einfluss von Mehrheiten auch privat, überdauernd,
generalisierend (Wood et al., 1994). - hoher und niedriger kognitiver Aufwand sowohl bei
Minderheiten als auch bei Mehrheiten.
29Zusammenfassung
- Der Verhaltensstil der Minorität bestimmt, ob sie
Einfluss auf eine Mehrheit haben kann. - Minderheitseinfluss ist indirekt, zeitverzögert
und führt eher zur Berücksichtigung von
Alternativen (Kreativität). - Minderheit hat eher informativen Einfluss,
Mehrheiten dagegen können sowohl informativen als
auch normativen Einfluss haben.
30Literatur
- Stroebe, W., Jonas, K., Hewstone, M. (2001).
Sozialpsychologie. Eine Einführung. Kapitel 13. - Erb, H.-P. Bohner, G. (2002). Sozialer Einfluss
durch Mehrheiten und Minderheiten. In D. Frey
M. Irle (Eds.), Theorien der Sozialpsychologie.
Huber.