Title: Vorlesung 3
1Vorlesung 3
- Erster Roman
- 11. 18. 25.10.
- Der Teufel von Mailand (2007)
- von Martin Suter
2Zu Martin Suter
- Aussagekräftiges Interview von persoenlich.com
über seine Art zu schreiben - http//www.persoenlich.com/pdf/interviews/intervie
ws239.pdf - Darin u.a. Wie gibt man einer literarischen
Figur einen Charakter? Man muss sich eine
solche Figur physisch vorstellen. Dazu genügen
oftmals sehr wenige Andeutungen. Zum Beispiel,
wie sie sich kleidet oder spricht. Als Mittel,
sie einzuführen, benutze ich auch Rückblenden in
die Vergangenheit. Ich verlasse mich darauf, dass
ich die Figur allmählich gern gewinne. Das ist
die Magie der Sprache Aus etwas so
Abstraktem wie Buchstaben entwickelt sich mit der
Zeit etwas Lebendiges. - Zum Schreiben
- Wie läuft Ihr Schreibprozess ab? Ich kenne die
Geschichte und ihr Ende bereits bei
Schreibbeginn. Je genauer man das Drehbuch kennt,
desto leichter kann man seinen Pfad verlassen,
denn man hat immer im Hinterkopf, wohin man
wieder zurückkehren muss. - Zum Plan der Erzählung
- Wie entsteht ein Plot? Man
sollte die Handlung eines Buches in wenigen
Sätzen, höchstens auf einer Seite
beschreiben können. Am Anfang steht die
Grundfrage Was wäre wenn? Was wäre
beispielsweise, wenn ein junger Kellner in einer
alten Schublade ein Buchmanuskript
entdecken und dieses als sein eigenes ausgeben
würde? Was wäre, wenn ein alter Mann
Alzheimer bekommen und immer mehr in die eigene
Kindheit zurückgeworfen würde?
Diese Frage ist der Ausgangspunkt jedes Plots.
Und die Antwort darauf sollte mich
als Leser manchmal bestätigen und manchmal
überraschen. - 1948 in Zürich geboren, lebt und schreibt
abwechselnd auf Ibiza und in Guatemala - Vielfältige Beschäftigungen Reporter, Werbe- und
Liedtexter (Zusammenarbeit mit Stephan Eicher),
Kolumnist (Weltwoche und NZZ Folio, Autor von
Drehbüchern und Komödien für das Theater am
Neumarkt, Zürich.Seit 1996 Romane,
Kriminalromane einer besonderen Art, am Rande
der Gattung. - International bekannter und auch anerkannter
Schweizer Erzähler der Gegenwart was nicht für
alle Schweizer Autoren gilt!
3Bisher erschienene Romane Grundthematik, wie M.
Suter sie selbst sieht Gibt es bei Ihren
Büchern einen gemeinsamen Nenner, ein Grundthema,
das Sie ausdrücken
wollen? Es geht immer um die Identität. Was
bin ich und was könnte ich auch sein? Da mir
diese Frage schon einige Male
gestellt wurde, habe ich keine improvisierte
Antwort parat. In all meinen
Büchern, Filmen wie auch Kolumnen geht es immer
um das Eine Schein und Sein.
Small World (Roman) Zürich (Diogenes), 1997
Die dunkle Seite des Mondes (Roman) Zürich
(Diogenes), 2000 Ein perfekter Freund (Roman)
Zürich (Diogenes), 2002 Lila, Lila (Roman)
Zürich (Diogenes), 2004 Der Teufel von Mailand
(Roman) Zürich (Diogenes), 2006
4Der Roman und die Ausgangslage
- 10 Kapitel, die szenisch in Abschnitte
gegliedert sind 290 Seiten. - Nicht genauer benannte Stadt zu Beginn,
vermutlich Zürich, dort wird die Hauptfigur,
Sonia Frey, eingeführt, die gerade einen massiven
Trip mit LSD hinter sich hat. - LSD gibt mit einem Zitat seines Erfinders Dr.
Albert Hofmann dem Roman sein Motto Jenseits
des Erscheinungsbildes der Aussenwelt, welches
unsere Wirklichkeit darstellt, verbirgt sich
eine transzendentale Wirklichkeit, deren wahres
Wesen ein Geheimnis bleibt. - Erzählerisches Grundprinzip Suter also wieder
präsent die Duplizität von Mensch, Sein und
Wirklichkeit, das Fehlen von Eindeutigkeit. - Der Roman baut vor Sonia Frey, der Hauptfigur
eine Kulisse auf, hinter der sich eine zweite,
eigentliche (?) Realität verbirgt, der gegen
Schluss langsam sichtbar wird. - Ausgangslage Sonia erwacht nach ihrem Trip,
entledigt sich der Männer, die sie zu diesem
LSD-Rausch verführt haben und begibt sich nach
Hause. Das Erwachen aus dem Rausch ist
Ausgangspunkt für Erinnerungen an Vergangenes.
5Erster Teil des RomansKap. 1 und 2
- Kap. 1 (7 - 30) Einführung und Aufbau der
weiblichen Hauptfigur Sonia Frey durch Erinnern
ihrer Vergangenheit (erste weibliche Hauptfigur
in Suters Romanen!) - Nahtstelle zwischen Kap. 1 und 2 Stelleninserat
und Begegnung mit Barbara Peters - Kap. 2 (31 - 66) Die Reise über Chur nach Val
Grisch und Einleben im Hotel Einführung von
Personen des Hotels und des kleinen Ortes
6Aufbau einer Figur durch Zuweisung einer
Vergangenheit (1. und 2. Tag)
- Anlagen seit der Schulzeit zu starker
Synästhesie, nun verstärkt durch den LSD-Genuss - Erinnerungsinseln an Frédéric verbunden mit
Farbeindrücken (Kobaltgrün), sein Telefonanruf,
das zugegipste Einschlagloch der Kugel in der
Wand (S. 30) - Entfaltung der Ehe und ihres Scheiterns (S. 15
16), Frédérics Ich.Kill.Dich unauffällige
Projektion für das Kommende, eine Bedrohung der
Hauptfigur. - Post vom Anwalt ihres Mannes, der wegen
Gewalttätigkeit Sonia gegenüber inhaftiert ist,
mit der Aufforderung an Sonia, mit einer
Einstellung des Verfahrens einverstanden zu sein. - Erinnerungen an die Ehe allgemein.
- Dann Entschluss zu verschwinden, gewissermassen
um sich der Vergangenheit zu entziehen. - Zufällige Lektüre eines Stellenangebots
Physiotherapie in einem Wellness Hotel Treffen
mit Barbara Peters Sonia erhält die Stelle (S.
23 Sonias vollständiger Name erscheint erstmals). - Treffen mit Malu, eig. Vreni, ihrer Freundin, und
Gespräche über die zerbrochene Ehe (S. 26ff.)
7Interessante Erzählerintervention
- Genereller Hinweis Multifokalisierendes Erzählen
mit einer gewissen Dominanz von Sonias
Perspektive (interne Fokalisierung) - Neutrale Landschaftsbeschreibung und Beschreibung
des Hotels Gamander in Kap. 2 (Aussensicht Das
verregnete Val Grisch und das Dorf) durch den
Erzähler vermittelt (S. 38 Beschreibung der
fiktiven Topografie) - Der Erzähler verrät andeutungsweise sein Wissen
S. 26 Wenig hätte gefehlt, und Pavarotti hätte
den Lauf der Dinge verändert. Barbara Peters ist
nach einigem Zögern einverstanden, dass Sonia
ihren Wellensittich mit ins Hotel bringt. Der
Lauf der Dinge verweist auf die Realität hinter
der Welt des Scheins.
8Vage Angaben zu Sonias Fahrt ins Val Grischmit
der Rhätischen Bahn, ein Übergang von
authentischen zu fiktiven Angaben
Bahnstation Storta, von dort aus gehts im
Postauto in ein Seitental nach Grisch????
9Kap. 2 Einführung von Personen
46 Ankunft des Landauers am Gamander Michelle
Kaiser
41 Igor holt Sonia mit einem Landauer an der
Postautostation ab.
45 Gian Sprecher ist trotz seiner Behinderung zu
Fuss im Dorf unterwegs.
42 Anna Bruhin unterhält ein Lädeli im Dorf und
wartet auf Kundschaft.
Vorbeifahrt des Landauers
45 Sandro winkt Curdin Josty, dem Kutscher des
Landauers zu.
43 Peder Bezzola ist Wirt und Koch des
Steinbocks.
44 Sandro Burger ist Sigrist und macht seine
Runde in der Kirche.
43 Peder sieht Luzi Bazzell zum Kartenspiel
kommen.
10Weitere Personen
- Ihre Arbeitskollegen
- Frau Felix, die auf dem Dorf stammt (50),
- Manuel, schwul, der erst zwei Tage hier ist.
- Reto Bazzel, der als Milchsammler tätig ist, und
mit seinem Pajero zwischen Höfen unterwegs ist.
Er beobachtet Sonia bei ihrem ersten Spaziergang
auf einem Alpweg. - Sonia bei ihrem Spaziergang Richtung Steinbock
und später den Hang hinauf Erinnerung an die
Forster-Traditionen, mit denen sie gebrochen hat.
Wahrnehmung einer weiteren Regenbogenfarbe nach
dem Rot! Sie denkt über die Trugbilder nach,
die sie verfolgen (S. 62ff).
11Zeiträume und Zeitangaben
- Ehegeschichte und Trennungsdrama Dezember
vergangenen Jahres (S. 22) - LSD-Abenteuer und Treffen mit Malu April (S. 26)
- Val Grisch und Hotel Gamander Anna Bruhin
denkt über Wetter und Jahreszeit nach, S. 42)
Anfang Juni - Temporalität Springendes Erzählen,
Sprungraffungen ohne präzise Zeitangaben.