Title: Vorlesung:
1Vorlesung
- Bachelor - Studiengang
- Profilmodul Politische Systeme
- Kleines Modul Politische Systeme
- Großes Modul PolitischeSysteme
- Systemvergleich I
- Grundlagen und freiheitliche Systeme
- Teil D Leistungsfähigkeit und Voraussetzungen
von Demokratien
2Gedankengang
- Leitgedanken und Grundformen von Demokratie sind
aus dem Basismodul Systeme bekannt. - Wie steht es aber mit der Leistungsfähigkeit von
Demokratien bzw. einzelner ihrer
Ausprägungsformen im Vergleich womit? - Was sind die Voraussetzungen für den Aufbau und
die Stabilität von Demokratie? - Wann ist Demokratie konsolidiert und was kann
man für ihre Konsolidierung tun?
3Demokratie Indikatoren
- regelmäßige, freie und faire Wahlen mit
konkurrierenden Parteien und der Möglichkeit,
eine Regierung abzuwählen - Glaubens-, Meinungs-, Organisations-,
Demonstrationsfreiheit samt Habeas-corpus-Rechten - Rechtsstaatlichkeit mit Rechtsgleichheit,
ordnungsgemäßen Prozessen und unabhängiger
Gerichtsbarkeit - effektive horizontale Gewaltenteilung, die
Machtmißbrauch verhindert - offene, pluralistische Gesellschaft mit vielen,
effektiven Mitteln der Bürger, dem politischen
System gegenüber ihre Interessen und Werte zum
Ausdruck zu bringen und zu vertreten sowohl in
unabhängigen Vereinigungen als auch in
Massenmedien - Freiheit kultureller, religiöser, ethnischer und
anderer Minderheiten, ihre Sprachen zu sprechen,
Kulturen zu praktizieren und Identitäten
auszudrücken - zivile Kontrolle über das Militär
4Demokratisierungswellen
in nicht wenigen Fällen gefolgt von
Autoritarisierungswellen
Info
- erste Welle nach Samuel Huntington 1828
1926v.a. Großbritannien, Frankreich, USA - zweite Welle nach Samuel Huntington
- 1945 1962 v.a. Indien, Israel, Japan,
Westdeutschland - ehemalige Kolonien (v.a. Englands und
Frankreichs) nach dem Zweiten Weltkrieg - dritte Welle nach Samuel Huntington
- mittlere 1970er Jahre Südeuropa
- 1980er Jahre Lateinamerika, Asien (Korea,
Thailand, Philippinen) - frühe 1990er Jahre Mittel- und Osteuropa, Teile
Schwarzafrikas - 1993 108 von 190 Ländern weltweit hatten
kompetitive Wahlen und Garantien persönlicher und
politischer Individualrechte, d.h. mehr als
doppelt so viele als 1970 - Schwächezonen von Demokratie islamische
Staaten, Afrika
Zahlen 1974-2000
5Ausbreitung von Demokratie1974 - 2000
Quelle Larry Diamond, Consolidating Democracies,
in Comparing Democracies 2, ed. By Lawrence
LeDuc et al., Lpndon u.a. 2002, S. 211
1970er Portugal, Spanien, Griechenland 1980er
Asien Philippinen, Korea, Taiwan, Thailand,
Pakistan 1990ff ganz Mittel- und Osteuropa
Südafrika
6Autoritarisierungswellen
- Nur 4 der 17 Staaten, die sich zwischen 1915 und
1931 demokratische Institutionen zulegten,
behielten sie auch während der 1920er und 1930er
Jahre - Ein Drittel der 32 funktionierenden Demokratien
des Jahres 1958 waren in den 1970er Jahren wieder
diktatorisch - Keine Autoritarisierungswelle nach der
Demokratisierungswelle von 1990ff! - Allerdings Rückentwicklung von Weißrußland und
Rußland zu autoritären Regimen, desgleichen
etlicher zentralasiatischer ehemaliger
Sowjetrepubliken
- Stets wiederkehrendes Problem
- In einer Demokratisierungswelle zunächst
siegreiche politische Gruppen akzeptieren
nicht, durch Wahlen wieder von der Macht entfernt
zu werden. - Statt dessen Versuch, die Gegner auf Dauer
niederzuhalten. - Folge Widerstand und oft genug (latenter)
Bürgerkrieg Putsche
7Streit um Demokratie Überblick I
Vergleichsergebnisse
- nur Minderheit der Menschheit kennt Demokratie
aus eigener Anschauung - laut Freedom House, 1999
- in Demokratien 39,8 der Weltbevölkerung ( 2,4
Milliarden, davon1 Milliarde in Indien!) - in undemokratischen Ländern 33,6 der
Weltbevölkerung - unter halbfreien Bedingungen 26,6
- Folge aus der Sicht der meisten Kulturen gibt es
keine und darum auch keine positiven
Erfahrungen mit praktizierter Demokratie - wichtigste Grundsatzpositionen der Kritik an
der Demokratie - islamische / islamisch-fundamentalistische
Staaten - Demokratie asiatischer Art
- Autoritarismus der Regierbarkeit willen
- Monismus
8Streit um Demokratie Überblick II
Resultat unterschiedlich akzentuierte normative
und praktische Herangehensweisen an Demokratie
- europäischer Erfahrungshorizont
- Tradition eines starken Staates, mit dessen
Aufkommen der Druck von Bürgerkrieg und
Willkürherrschaft gemildert wurde - Grundansatz des politischen Denkens
- starken Staat als Voraussetzung nehmen (und
schaffen!) - sodann dafür sorgen, daß seine Machtkonzentration
sich mit demokratischen Strukturen verbinden läßt - nordamerikanischer Erfahrungshorizont
- Grunderfahrung der schwachen Staatlichkeit (
Kolonialverwaltung) oder fehlenden Staatlichkeit
( Landnahme in Richtung Westen) - damit einhergehend Tradition bürgerschaftlicher
Selbsthilfe und der Wahrnehmung des Staates als
eines bestenfalls notwendigen Übels - Grundansatz des politischen Denkens
- ein wirklich demokratischer Staat muß ein
dezentralisierter und (außerhalb des
Kerngeschäfts) schwacher sein - sodann dafür sorgen, daß Bürger und Gesellschaft
sich sehr aktiv, doch staatsfrei um das
Gemeinwesen kümmern
9Konsensbereiche in der (empirischen) Beurteilung
von Demokratie
Vergleichsergebnisse
- Demokratie erzeugt besonders verläßlich
Legitimitätsglauben - Demokratie erlaubt vorzüglich eine effiziente und
relativ effektive, dabei obendrein friedliche
Weise der Rekrutierung, Wahl und Abwahl
politischen Führungspersonals - Demokratie ermöglicht besonders effektiv die
Veränderung von Politik ohne die vorausliegende
Notwendigkeit, gleich auch noch das ganze System
zu verändern (Regierungswechsel ohne Risiko von
Regimewechsel) - Mit zunehmender Bestandsdauer macht Demokratie
die politischen, wirtschaftlichen und sozialen
Verhältnisse für die große Mehrheit der Bürger
berechenbarer. Das erlaubt die Verstetigung
vieler gesellschaftlicher Aktivitäten und schafft
günstige Voraussetzungen für gesellschaftliche
Effektivität und Effizienz. - Problem Zeittakt der Demokratie, wo der gewollt
kurze Handlungshorizont von Amtsinhabern mit der
Notwendigkeit konfligiert, längerfristige und
vorausschauende Planungen möglich zu machen
Literaturhinweis Manfred G. Schmidt,
Demokratietheorien, 3. Aufl., Opladen 2000, Teil
IV
10Demokratie als Problemlöserin
Vergleichsergebnisse
- sichert wirkungsvoll Legitimität, sowohl durch
ihre übverzeugenden Leitgedanken als auch durch
ihre typischen Pufferinstitutionen (v.a.
Parteien) zwischen Staat und Gesellschaft - legt dem Großen Leviathan Ketten an
- sichert Freiheit, wirkt hin auf Gleichheit
- macht politisches Handeln dank ihrer
institutionellen Mechanismen ziemlich gut
berechenbar - bündelt wirkungsvoll individuelle Präferenzen und
Interessen - macht ein politisches System gerade auch dank
der Rolle von Opposition lernfähiger - erlaubt Trennung zwischen System und
Regierung, womit eine friedliche Ablösung der
letzteren möglich wird - nutzt gesellschaftliches Sozialkapital und zwar
auch das oppositionelle! ziemlich gut aus - stellt wirkungsvolles politisches
Führungspersonal bereit
Literaturhinweis Manfred G. Schmidt,
Demokratietheorien, 3. Aufl., Opladen 2000, Teil
IV
11Demokratie als Problemverursacherin
Vergleichsergebnisse
- oszilliert zwischen Tyrannei der Mehrheit und
Systemblockade durch zu viele Veto-Punkte
Optimierungskonflikt zwischen Herrschaftsbändigung
und Steuerungseffizienz - Chance, mißliebige Regierungen friedlich
loszuwerden, läuft ins Leere, wenn die
Installierung effektiver Regierungen nicht
gelingt - Vorteil für organisations- und konfliktfähige
Interessen - Zielkonflikt zwischen Freiheit und Gleichheit
- System verlangt kompetentere und gutwilligere
Bürge, als es selbst verläßlich hervorbringen
kann - Volkswille ist fiktiv, fehlbar und verführbar
- Anreiz für kostspielige (sozialstaatliche)
Interventionen, um sich durch Gefälligkeitsdemokr
atie Mehrheiten zu sichern - Wiederwahlmechanismus und Dauerwahlkampf zwingen
dem politischen Handeln kurze Zeithorizonte und
die Grenzen dessen auf, was man politisch
plausibel machen kann - Unbeständigkeit der Mehrheit, bei großen Folgen
selbst kleiner Regeländerungen
Literaturhinweis Manfred G. Schmidt,
Demokratietheorien, 3. Aufl., Opladen 2000, Teil
IV
12Beurteilungskontexte von Demokratie
? Was soll optimiert werden?
- Reichweite des Urteils Urteil Staatlichkeit
allgemein oder nur über Demokratie? - Welcher Typ von Demokratie ist Gegenstand des
Urteils? (z.B. Referendums- vs.
Repräsentativdemokratie) - Wertmaßstab I von radikal-diskursiven über
elitistisch-wettbewerblichen Demokratiekonzepten
bis hin zur Vorstellung, die Akklamation des
Volkes zu einem cäsaristischen Führer begründe
ebensogut eine Demokratie - Wertmaßstab II relativer Stellenwert von Input-
und Outputseite des politischen Prozesses - Meßlatten des Urteils, z.B.
- Rousseau Gut ist ein Gemeinwesen, das mit
wenigen Gesetzen auskommt und dessen Bevölkerung
sich ohne Einwanderung oder Kolonisierung
vermehrt - oder auch Wahrung von Menschenrechten,
Beteiligungschancen, Ausmaß der Kontrolle der
Herrschenden, Lernfähigkeit ... - in den urteilsbegründenden Vergleich
einbeschlossene Fälle - extrem langlebige US-Demokratie vs. Demokratien
der europäischen Zwischenkriegszeit
13Kosten vs. Nutzen der Demokratie Streitpositionen
Abwägungsproblem
- typischer Konservatismus
- Nivellierung (Gleichmacherei) durch Demokratie
- expansiver Trend über vernünftige Grenzen
hinaus (schrankenlose Demokratisierung) - typischer Liberalismus
- grundsätzlich gut offener Meinungsstreit,
Konkurrenz bei Auswahl der Bewerber um politische
Ämter - doch problematisch Nivellierung
(Gleichmacherei) durch Demokratie, v.a. soziale
und wirtschaftliche Nivellierung - typische Linke
- grundsätzlich gut offener Meinungsstreit,
Konkurrenz bei Auswahl der Bewerber um politische
Ämter - aber Mit Demokratie wurde gerade erst einmal
begonnen sie muß erst noch auf alle Bereiche der
Gesellschaft und Wirtschaft ausgeweitet werden! - typische Grüne
- grundsätzlich gut offener Meinungsstreit,
Konkurrenz bei Auswahl der Bewerber um politische
Ämter - aber problematisch ist ihre Ausprägung als vor
allem Repräsentativdemokratie, die auch noch vom
Mehrheitsprinzip dominiert wird (Was zählen
tausend matte Ja gegen hundert glühende Nein?)
ferner Wie wird Nachhaltigkeit institutionell
abgesichert?
14Vorzüge und Nachteile verschiedener Formen von
Demokratie
? differenzierterer Blick
- Leistungsprofil von Demokratien variiert mit der
Form etablierter Demokratie, wobei die
Zusammenhänge überaus komplex und in der
Forschung im einzelnen immer wieder noch
umstritten sind. - Der am besten gesicherte Befund Einfache
Aussagen sind meistens falsch, da sie zwar
Richtiges treffen, doch nicht über dessen
Rahmenbedingungen informieren! - Wichtigste in diesem Zusammenhang zu
unterscheidende Formen von Demokratie - Mehrheitsdemokratien vs. nicht-majoritäre
Demokratien - Repräsentativ- vs. Direktdemokratie
- etablierte vs. fragile Demokratien
Literaturhinweis Manfred G. Schmidt,
Demokratietheorien, 3. Aufl., Opladen 2000, Teil
IV
15Gutes und weniger Gutes an Mehrheitsdemokratien
wenige Vetospieler
v.a. Westminster-Modell, d.h. parlamentarisches
Regierungssystem ohne Verhältniswahlrecht und
ohne Föderalismus
- gut bei ...
- Bildung und Sicherung stabiler Regierungen
- relativer Häufigkeit von Machtwechseln und damit
verbundener Innovation - Transparenz und Feststellbarkeit von politischer
Verantwortlichkeit - mediengerechter (und unterhaltsamer)
Präsentierbarkeit von Politik - weniger gut bei ...
- schockartigen politischen Richtungswechseln bei
Machtwechseln - Risiko einer Mediendemokratie (politics
without policy) - Risiko des Überziehens der Konfrontation,
Konflikten mit Nullsummencharakter sowie
Ausbeutung von Minderheiten - Einbindung von Minderheiten
- Vollzugskosten von Gesetzen, die ohne
sonderliche Einbindung ihrer Opponenten erlassen
wurden Revanche-Blockaden in der
Implementationsphase von Gesetzen
16Gutes und weniger Gutes an nicht-majoritäre
Demokratien
i.d.R. Konkordanz-/ Konsensdemokratien
- gut bei ...
- Einbindung von Opponenten
- Zusammenhalt gespaltener Gesellschaftssysteme
- nicht-parochialen Lösungen von Kollektivgüterprobl
emen - weniger gut bei ...
- raschem Handlungsbedarf
- größeren Politikänderungen
- Transparenz der Willensbildung und
Entscheidungsfindung - Feststellung und Einforderung von politischer
Verantwortung
- geringere Anpassungsfähigkeit
- geringe Elastizität
- geringes Modernisierungspotential
17Konkordanzdemokratie
- normative Vorstellung bzw. Verfassungspraxis,
daß Konflikte - nicht entschieden werden sollen durch
- Parteienwettbewerb und Mehrheitsentscheid
- sondern durch
- Verhandlung, Kompromiß und Proporz
viele Vetospieler
18Erscheinungsformen von Konkordanzdemokratie
- entstehen in der Regel bei
- Vielparteiensystemen mit einander überlagernden
Konfliktlinien - Koalitionsregierungen
- ziemlich symmetrischen Zweikammersystemen
- Föderalismus bzw. starker Dezentralismus
- starker faktischer Politikverflechtung
- Konsenskultur in stark zerklüfteten
Gesellschaften - Erscheinungsformen
- Bildung und Nutzung informeller Netzwerke
- Politik wechselseitigen Gebens und Nehmens in
Elitenkartellen - Kosten/Nutzen-Relation
- Pro wirksamer Minderheitenschutz, wirkungsvolle
Gesellschaftsintegration, nachhaltige
Elitenakkommodation - Contra gewaltige Transaktionskosten, reduzierte
Reaktionsleistung des politischen Systems,
verringerter Einfluß von öffentlicher Meinung und
von Wahlen auf den politischen Prozeß
19Gutes und weniger Gutes an Mischformen
in jeder Hinsicht ambivalente Bilanz!
- Beispiel Deutschland, wo das Majorzprinzip des
Parteienwettbewerbs im parlamentarischen
Regierungssystem mit dem Konkordanzsystem im
Bundesstaat zusammenwirkt - Bilanz im Systemvergleich
- Mischsysteme schneiden mitunter besser ab als
reine Majorz- oder Konkordanzsysteme hinsichtlich
von ... - Integrationsfähigkeit
- Kooperationsfähigkeit
- Problemlösungsfähigkeit
- aber Das Nebeneinander von unterschiedlichen
Modi der Konfliktregelung und Entscheidungsfindung
kann verursachen ... - Entscheidungsblockaden
- Intransparenz oder gar Versickern von
Verantwortung
20Repräsentativ- vs. Direktdemokratie
zur Begriffsbildung
- in beiden Typen
- Leben über den Verhältnissen (Indikator
Staatsverschuldung) - Vernachlässigung der Interessen der nachrückenden
Generationen - Direktdemokratie ( Demokratie mit starken
plebiszitären Instrumenten) im Vergleich zu
Repräsentativdemokratie - vergleichsweise stärkere Berücksichtigung der
Interessen der nachrückenden Generationen (v.a.
bei öffentlicher Infrastruktur und Bildungswesen) - anders akzentuierte Struktur der Staatsausgaben
zögerlicherer und gedämpfterer Aufbau
sozialstaatlicher Strukturen Erschwerung von
Trittbrettfahrereffekten - größere Zügelung des Staates samt größerem
Spielraum privater Interessen - größere politische Einflußchancen finanz- und
organisationsstärkerer Gruppen - höhere politische Entscheidungskosten
- größere Befriedungs- und Integrationskapazität
21Direkte Demokratie
- besser wohl
- personalunmittelbare Demokratie
- sachunmittelbare Demokratie
- Vermengt wird mit diesem Begriff sehr
Unterschiedliches, nämlich ... - Direktwahl möglichst vieler Amtsträger
- bei Direktwahl des Staatsoberhaupts Festlegung
des Typs des Regierungssystems! (parlamentarisch
semipräsidentiell präsidentiell) - Einfügung plebiszitärer Elemente in ein System
repräsentativer Demokratie - Ersetzung repräsentativer Demokratie durch eine
plebiszitäre oder Referendumsdemokratie - Ziel Simulation einer Identitätsdemokratie
Das alles sind sehr unterschiedliche Dinge, die
man deshalb gerade nicht unter einen einzigen
Begriff ziehen sollte! Darum
22Begriffsklärungen
- Demokratie kann sich entfalten als ...
- repräsentative Demokratie
- nach dem zentralen Repräsentationsorgan auch
genannt parlamentarische Demokratie - als plebiszitäre und / oder Referendumsdemokratie
- als identitäre Demokratie real in Kleingruppen,
rein formal als Referendumsdemokratie - repräsentative Demokratie kann sich u.a.
entfalten als ... - präsidentielles Regierungssystem(NICHT
präsidentielle oder präsidiale Demokratie) - parlamentarisches Regierungssystem(NICHT
parlamentarische Demokratie)
23Etablierte vs. fragile Demokratien
faktisch die wichtigste Unter-scheidungslinie
zwischen Demokratien
- Definition
- etablierte Demokratie Gemeinwesen mit fest
verankerter, seit mehreren Jahrzehnten verläßlich
funktionierender Demokratie - fragile Demokratie Gemeinwesen ohne fest
verankerte und / oder (noch) defizitär
funktionierender Demokratie - Unterformen fragiler Demokratien
- ausschließende Demokratien größere
Bevölkerungssegmente sind vom Wahlrecht
ausgesperrt - Domänendemokratien Vetomächte wie Militär,
Guerillagruppen, große Wirtschaftsunternehmen
o.ä. beherrschen große Teile von Wirtschaft und
Gesellschaft und entziehen sie dem Zugriff der
demokratisch gewählten Führung - illiberale Demokratien die wechselseitige
Kontrolle der öffentlichen Gewalten wird
umgangen, Rechtsstaatlichkeit wird systematisch
und aus politischen Gründenverletzt - Kennzeichen fragiler im Unterschied zu
etablierter Demokratie - politisches Leistungsprofil ist in fast allen
Bereichen geringer - Legitimitätslage ist angespannt
24Demokratie und Diktatur im Leistungsvergleich
- zusammenfassende Befunde von Systemvergleichen
- (Details anschließend)
- etablierte Demokratien haben größere politische
Produktivität als andere Regimeformen (Info) - Überlegenheit von Demokratie ist allerdings
begrenzt und wird durch methodologische Fehler im
traditionellen Demokratie/Diktatur-Vergleich
meist überschätzt (Info) - Demokratien erzielen bei manchen Aufgaben nur
mäßige Ergebnisse (Info) - einige Herausforderungen bleiben auch für
leistungsfähige Demokratien bestandsgefährdend
(Info)
Literaturhinweis Manfred G. Schmidt,
Demokratietheorien, 3. Aufl., Opladen 2000, Teil
IV
25höhere Produktivität etablierter Demokratien I
- verglichen mit...
- an erster Stelle fragilen Demokratien
- an zweiter Stelle autokratischen Regimen
- systemvergleichende Literatur und
Datensammlungen zum jeweiligen Leistungsprofil
zeigen Überlegenheit bei ... - politischer Gleichheit
- Beteiligungschancen
- Rechenschaftspflicht der politischen Führung
- relativer Transparenz politischer Vorgänge
- relativer Berechenbarkeit von Politik
- Grad der Legitimität der politischen Ordnung
- Eindämmung von Selbstprivilegierung der
politischen Klasse - Sicherung der Freiheit der Bürger
26höhere Produktivität etablierter Demokratien II
verglichen mit speziell autokratischen Regimen
- Chance, politische Führer ohne Gewalt abzulösen
( Wahlmechanismus) - Folgeerscheinung I berechenbare
Nachfolgemechanismen an Stelle schwer
kalkulierbarer Übergangszeiten - Folgeerscheinung II Wiederwahlmechanismus
- zwingt politische Führer zur Rechenschaftslegung
vor den Bürgern - zwingt politische Führer zur Responsivität
hinsichtlich von Präferenzen und
Präferenzänderungen der Bürger - zieht die Pflege von halbwegs leistungsfähigen
Vernetzungsstrukturen zwischen politischer
Klassen und Bürgerschaft nach sich - das alles sorgt für eine ziemlich gute
Legitimitätslage des Systems
27höhere Produktivität etablierter Demokratien III
verglichen mit speziell autokratischen Regimen
- falls Systemblockaden vermieden werden bessere
Kalkulierbarkeit politischer Prozesse - Erweiterung des Zeithorizonts, in dem die Bürger
ihre wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Aktivitäten planen können, was seinerseits ... - eine bessere Ausschöpfung der wirtschaftlichen
und sozialen Ressourcen der Gesellschaft
ermöglicht - die Rahmenbedingungen eines freiheitlichen
Systems stabilisiert - größere Anpassungs- und Problemlösungsfähigkeit
- wirkungsvollere Gewaltenteilung mit gesicherter
Rechtsstaatlichkeit und ziemlich großem wie
verläßlichem Schutz individueller Menschen- und
Bürgerrechte
28höhere Produktivität etablierter Demokratien IV
- verglichen mit...
- an erster Stelle fragilen Demokratien
- an zweiter Stelle autokratischen Regimen
- mehr persönliche Freiheitsgrade auf den Feldern
der Steuerung der Arbeitsbeziehungen sowie
Bildungs- und Wissenschaftspolitik - bessere Leistungen auf folgenden Politikfeldern
- Arbeitsschutz
- Umweltschutz
- Sozialpolitik
- Ausnahme Hier waren die sozialistischen Staaten
aus der Warte der Regierten besser allerdings
um den Preis der Überlastung ihrer Wirtschaften
sowie der nachhaltigen Einschränkung persönlicher
Freiheit
29höhere Produktivität etablierter Demokratien V
verglichen mit speziell autokratischen Regimen
- Neigung zur Kriegführung
- im allgemeinen ziemlich gering
- keinerlei Neigung zur Kriegführung untereinander
- Folge I Je mehr demokratische Staaten es gibt,
um so geringer ist auf internationaler Ebene das
Sicherheitsdilemma - Folge II Um so mehr Ressourcen ökonomischer und
gesellschaftlicher Art werden frei für produktive
und humanitäre Zwecke - Tatsächlich geben Diktaturen im Durchschnitt
größere Prozentanteile ihres Wirtschaftsprodukts
für Militärbelange aus als Demokratien. - Ebenso verhält es sich mit den Ausgaben für
innere Sicherheit
30Überschätzung der Überlegenheit von Demokratien I
... aufgrund methodologischer Fehler
- Manche überlegene Leistung, welche der
Demokratie zugeschrieben wird, ergibt sich aus
den Vorbedingungen für Demokratie, nicht aus
dieser selbst - tiefer verwurzelte Rechtsstaatlichkeit
- säkularisierte politische Kultur
- höherer wirtschaftlicher Entwicklungsstand
- gesellschaftliche Stabilität
31Überschätzung der Überlegenheit von Demokratien II
... aufgrund methodologischer Fehler
- Genau das zeigen auch Studien, welche solche
Kontextfaktoren als Kovariaten kontrollieren - Demokratiezufriedenheit ist sehr stark
Zufriedenheit mit der Leistungsfähigkeit des
wirtschaftlichen Systems, die ihrerseits stärker
vom Entwicklungsstand der Produktivkräfte als von
demokratischen Spielregeln abhängt, v.a. von ... - Rechtssicherheit
- schlankem Staat
- Investitionen in das Bildungswesen
- Bürger- und Menschenrechte werden viel eher vom
Rechtsstaat geschützt als von Demokratie (?
Tendenz zur Tyrannei der Mehrheit oder der
politischen Korrektheit), wobei Rechtsstaat und
Demokratie ganz verschiedene Dimensionen von
Staatlichkeit sind - Friedfertigkeit von Demokratien wurzelt stärker
in der Gewaltenteilung als im friedlichen
Charakter ihrer Eliten und Bürger
32Demokratien nur mäßige Leistungen bei manchen
Aufgaben
- außenpolitisch
- Kampf gegen Faschismus und Nationalsozialismus
erst nach langem Zögern, unter Hinnahme
schwerster Verluste auf Seiten von Verfolgten
sowie der Zivilbevölkerung des Gegners sowie um
den Preis einer fahrlässigen Aufwertung des
Stalinismus/Kommunismus - innenpolitisch kenntliche Defizite bei ...
- Abschaffung der Sklaverei
- rechtliche und soziale Gleichberechtigung von
Männern und Frauen - Lösung von Problemen im Arbeitsmarkt
- Höhe des erreichbaren Wirtschaftswachstums
- politisch-kulturell
- keine Garantie für rationale politische
Problemlösungen oder rationale politische
Ergebnisse - Attentismus und Wankelmütigkeit des Wahlvolks
- Kurzatmigkeit der politischen Anstrengungen
33Herausforderungen für Demokratien I
- Rückzug eines Großteils des Staatsvolks aus der
politischen Beteiligung - Herausbildung einer Machtverteilung, welche
Antisystemkräften die Vorherrschaft oder
wenigstens eine Blockademacht in Parteiensystem
und Parlament verschafft - Verblassen gesellschaftlicher Toleranz für ...
- Unbeständigkeit von Parlamentsmehrheiten oder
Disproportionalitäten zwischen Stimmen- und
Sitzanteilen (v.a. bei Mehrheitswahlrecht) - Pfadabhängigkeit politischer Prozesse Wer
gestern die Wahl verlor, verliert heute selbst
dann parlamentarische Abstimmung, wenn wieder
eine demoskopisch gemessene Bevölkerungsmehrheit
hinter ihm steht
34Herausforderungen für Demokratien II
- Spannung zwischen internationaler Interdependenz
demokratischer Staaten, vor allem im Zeitalter
der Globalisierung, und der rein
nationalstaatlichen Verankerung von Demokratie
Einengung schon des Spielraums demokratisch
legitimierten Regierens! - Neigung von Demokratien, aufgrund des
(Wieder-)Wahlmechanismus vor allem die
Bedürfnisse des Augenblicks zu befriedigen und
die Interessen späterer Generationen zu
vernachlässigen - Beispiele Staatsverschuldung, Übernutzung
natürlicher Ressourcen, problematische
Veränderung des Gesellschaftsaufbaus durch
Laufenlassen demographischer Veränderungen oder
von Immigration/Emigration - Steuerungsmöglichkeit Elternstimmrecht
- Schwierigkeit, einst mehrheitlich akzeptierte
Lastenverlagerungen auf die Schultern anderer
rückgängig zu machen - Beispiele Korrektur einer auf Verschuldung
setzenden Finanzpolitik, Rückbau des
Sozialstaates, Besserstellung von Familien (d.h.
von Formen eines Zusammenlebens mit Kindern)
35Fazit zur Leistungsfähigkeit von Demokratien
- Nicht die Demokratie schlechthin ist besser als
andere Staatsformen, - sondern die Kombination aus ...
- Rechtsstaatlichkeit
- wirtschaftlichem Wohlstand
- etablierter pluralistischer Demokratie
- Auch diese Staatsform hat durchaus unüberwindbare
Mängel und Probleme. - Alles in allem scheint es so zu sein, als gäbe es
für freiheitsbewußte und gebildete Menschen keine
attraktivere Staatsform als eine derartige
Kombination.
36Vorbedingungen für Demokratie
Siehe Seymour Martin Lipset, The Social
Requisites of Democracy Revisited, in Alex
Inkeles / Masamichi Sasaki, Hrsg. Comparing
Nations and Cultures. Readings in a
Cross-Disciplinary Perspective, Englewood Cliffs,
N.J. 1996, S. 430-449
- Marktwirtschaft
- spezifische politische (und religiöse!) Kultur
- Rechtssicherheit
- selbsttragende Legitimität
- Bürgergesellschaft
- unterstützungssichere Parteien
- faires Wahlsystem
- hilfreich Föderalismus
- nötig viel Glück!
37Marktwirtschaft und Demokratie
- Grundsätzlich Nicht das Privateigentum an
Produktionsmitteln ist der zentrale Faktor,
sondern die Existenz von zwar politisch
ermöglichten, doch nicht politisch verzerrten
Märkten - eine Ursache von politisch verzerrten Märkten
Streben nach Autarkie oder nach politischem
Schutz bestimmter Produzentengruppen - Markt Form der Gewaltenteilung politische
Macht ist ohnehin reduziert und findet
wirtschaftliche Gegenmächte - geringerer Anreiz, überhaupt staatliche
Ressourcen (exklusiv) zu kontrollieren, da
wichtige Interessen auch ganz ohne Mitwirkung
staatlicher Stellen zu realisieren sind - Reduktion des Anreizes für politische Korruption,
die ihrerseits Autoritätskartelle
zusammenschmiedet, weil der Weg zu knappen
Ressourcen nicht (nur) über politische Amtsträger
und persönliche Beziehungen führen muß - Chance auf Entstehung und Stellungssicherung
einer Mittelklasse, welche die Ressourcen für
Selbstregierung und praktizierten Pluralismus
besitzt - in der Regel, allerdings nicht immer und
zwingend Aufbau von weit verbreitetem
gesellschaftlichem Wohlstand, was seinerseits die
friedliche Bewältigung von Verteilungskonflikten
erleichtert ( die Steuerungsbelastungen des
politischen Systems reduziert)
Achtung Marktwirtschaft scheint zwar eine
notwendige Bedingung für Demokratie zu sein, ist
aber offensichtlich keine hinreichende Bedingung
für Demokratie!
38Demokratie und Wohlstand
Zentralelement des Aufbaus von Demokratie Die
Wirtschaft in Schwung bringen und dabei den
Zielwert sozialer Gerechtigkeit nicht
vernachlässigen!
- Demokratie geht regelmäßig einher mit
- vergleichsweise größerem Wohlstand (insgesamt und
individuell) - vergleichsweise größerer sozialer Gleichheit,
letztere verstanden als Grad an - Statusgleichheit
- wechselseitig entgegengebrachtem Respekt,
- die beide von persönlichen wirtschaftlichen
Umständen unabhängig sind!
Siehe Lipset, Seymour Martin / Seong,
Kyoung-Ryung / Torres, John Charles A
Comparative Analysis of the Social Requisites of
Democracy, in International Social Science
Journal 45, 1993, 155-1751
- Frage Was ist die unabhängige, was die
abhängige Variable? - Antwort Es besteht wohl eine rekursive, positiv
rückgekoppelte Beziehung!
39Kuznets-Kurve
Wichtig Es muß gelingen, die Phase der
Ungleichheit ohne politischen Stabilitätsverlust
hinter sich zu bringen!
- Wenn ein wenig entwickeltes Land mit Wachstum und
Urbanisierung beginnt, dann wird die
Einkommensverteilung sehr ungleich. - Wenn es anschließend zur Industrialisierung
kommt, verringert sich die Ungleichheit in der
Einkommensverteilung wieder.
Simon Kuznets, Modern Economic Growth Rate,
Structure, and Spread, New Haven, CT Yale
University Press
40Politische Kultur und Demokratie
- zentral daß sowohl Eliten als auch Bürgerschaft
allgemein die Prinzipien von Religions- und
Kommunikationsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit,
Gewaltenteilung und praktiziertem Pluralismus
akzeptieren. - entsteht nicht von allein und über Nacht!
- ausschlaggebende Rolle Eliten als Avantgarde,
von denen aus die (politische) Massenkultur
verändert wurde - praktisch besonders wichtiger Zusammenhang
- Praktizierte Dezentralisierung von Macht, Status
und Reichtum zieht die Einsicht nach sich, daß
sich Kooperation meist auszahlt. - Praktizierte Kooperation führt zur Einsicht, daß
freiwillige Integration bei akzeptierter
Subsystemautonomie effizientere und lernfähigere
Systemstrukturen ermöglicht als jede Form von
Informations- und Machtzentralisierung - Verbindung mit Marktwirtschaft-Nexus!
- Insgesamt scheinen kulturelle Faktoren für die
Entstehung und den Bestand von Demokratie noch
wichtiger zu sein als wirtschaftliche Faktoren.
41Religion und Demokratie I
- Zusammenhang von Religion mit Demokratie
- positiv in Kulturen mit Prägung durch
Protestantismus - besonders starke Betonung des Individualismus
(vs. Institutionengläubigkeit) - sich selbst organisierende / regierende
Gemeinde - negativ in Kulturen mit Prägung durch
Katholizismus, orthodoxes Christentum, Islam,
Konfuzianismus, denn dort aus jeweils sehr
verschiedenen Gründen besonders starke
Verbindungen zwischen Staat und organisierter
Religion! - im katholischen Bereich Demokratieneigung vor
allem dort, wo sich intransigente
politisch-religiöse Positionen selbst
diskreditierten (etwa als Klerikalfaschismus) - im Bereich von Orthodoxie, Islam und
Konfuzianismus bislang wenig Demokratieneigung
42Religion und Demokratie II
entsprechende Perspektiven für weitere
Demokratisierung mit wichtiger
intervenierender Variable Säkularisierung!
Info
- Fall Katholizismus doppelte Repräsentation
(Eric Voegelin) - Zwei-Schwerter-Lehre (Papst Gelasius I., spätes
5. Jhd.) mit großer Spannweite der
Interaktionsmuster - Fall Orthodoxie von jeher machtpolitisch
schwache Ausprägung der religiösen Institutionen
im Vergleich zu den staatlichen - Fall Islam Ist nicht nur ein System religiöser
Überzeugungen, sondern auch ein System von
exklusiven Regeln zur Ausgestaltung der
öffentlichen Ordnung - gewollt einfache Repräsentation anstelle
abgelehnter doppelter Repräsentation - Fall Hinduismus gänzliche Dissoziation zwischen
religiösen und politischen Institutionen - Fall Konfuzianismus ohnehin kaum religiöse
Institutionen in Absonderung von politischen
Institutionen und somit kein gesellschaftliches
Gegengewicht zur autoritär strukturierten
Staatsmacht
43Säkularisierung
- Politische Institutionen gewinnen Unabhängigkeit
von religiösen Institutionen. - Religiöse Institutionen gewinnen Unabhängigkeit
von politischen Institutionen. - Aus dem wechselseitig erwarteten politischen
Minimalkonsens werden religiöse
Konsenserwartungen ausgeschieden. - Achtung
- Säkularisierung beinhaltet nicht notwendigerweise
eine Entreligionisierung einer Gesellschaft! - Säkularisierung ist etwas anderes als Laizismus
( Verdrängung von Religion aus dem öffentlichen
Raum)! - siehe im Vergleich die Fälle von USA und
Frankreich!
44Rechtssicherheit und Demokratie
rule of law
- Ordnung und Vorhersehbarkeit wirtschaftlicher,
gesellschaftlicher und politischer Entscheidungen
für alle praktischen Zwecke - senkt Transaktionskosten allenthalben
- erlaubt Verzicht auf Doppelspiel zwischen
formaler Fassade und informellem Verhalten - erlaubt die Entstehung von generalisierbarem
Vertrauen als (nicht nur, aber auch) politischer
Ressource - zentrale Mittel
- verläßliche Durchsetzung allgemein verbindlicher
Rechtsnormen mit gleichem Recht für alle - erwartbare Rechtsförmlichkeit gerade auch
staatlichen Handelns - unabhängige und durchsetzungsfähige Justiz, die
über dies alles wacht - obendrein ein Verfassungssystem, das der Macht
der jeweiligen Mehrheit wirkungsvoll Grenzen
setzt
45Legitimität und Demokratie
- Die Stabilität einer Demokratie kann nicht auf
Zwang beruhen, sondern allein auf - Legitimitätsglauben (Geltung von Herrschaft als
rechtens) - seitens der Mehrheit unterlassener
Destabilisierung des Systems - seitens wenigstens einer Minderheit aktiver
Unterstützung des Systems - ? inputbasierte Legitimität
- verläßlichste Quellen von Legitimitätsglauben
- längerfristig anhaltende Effektivität des
Regierens, d.h. Befriedigung der grundlegenden
Bedürfnisse des Großteils der Bürger sowie der
zentralen Machtgruppen (darunter Wirtschafts-
und Militärführer) durch ausreichende Performanz
des Regierungssystems und der politischen
Klasse? outputbasierte Legitimität, die sich
traditionalisiert - schon mittel- und kurzfristig eine
vertrauenswürdige Personifikation der
Leitgedanken und Regeln des (neuen) politischen
Systems, welche die Enttäuschung über die
aktuelle Politiker- und Systemperformanz
abpuffert? charismatische Legitimität - hilfreich möglichst frühzeitige Schaffung einer
liberaldemokratischen Verfassung, die zum
Kristallisationspunkt rationaler Legitimität
werden kann. - mitunter ebenfalls hilfreich Erinnerung an die
ungute Alternative vorgängiger diktatorischer
Herrschaft
46Bürgergesellschaft und Demokratie
civil society Zivilgesellschaft,
bürgerliche Gesellschaft, Bürgergesellschaft
- heißt Es bestehen Vermittlungsinstitutionen
zwischen Bürgern und Staat in großer Zahl - vorpolitischer Raum Vereine, Verbände,
Stiftungen - machtpolitische Bedeutung staatliche
Institutionen stehen nicht atomisierten
Individuen gegenüber (die leicht einzuschüchtern
sind!), sondern handlungsfähigen Gruppen, d.h.
einer (potentiellen) Gegenmacht - Demokratie kann sich stabilisieren, wenn es einen
gut entwickelten vorpolitischen Raum gibt als - Sozialisations- und Rekrutierungsstätte politisch
partizipationswilliger Bürger - Ankergrund politischer Parteien
- Ort der Austragung und Lösung lebensweltnaher
Interessenkonflikte - Stätte des Lernens, wie man eine große Zahl
Gleichberechtigter zum gemeinsamen Handeln
befähigt - Fonds von Humankapital, den das politische
System immer wieder nutzen kann - Probleme
- vorpolitischer Raum entsteht nicht kurzfristig
oder nach Design, sondern nur im Lauf einer
eher langen Zeit? Problem bei Transitionsprozesse
n und großen sozialen Umbrüchen - Voraussetzung auch Vorstellung, daß der Staat
nur ein subsidiäres Dienstleistungs-unternehmen
ist? Akzeptanz eines liberalen Menschen-,
Gesellschafts- und Staatsbildes
47Parteien und Demokratie
- Parteien wichtigste Vermittlungsinstitutionen
zwischen Gesellschaft und politischem System - nötig größere Parteien, die in der Gesellschaft
verläßlich Unterstützung finden und zwar auch
dann, wenn ihre Politik einige Zeit lang ohne
Erfolg bleibt - vorteilhaft
- mindestens zwei Parteien dieser Art, damit
Regierungswechsel ohne Verlust an
Regierungseffektivität möglich sind - Querliegen solcher Parteien zu den meisten
Spannungslinien (cleavages) der Gesellschaft - Vorbedingung für politische Integration statt
Spaltung - nachteilige Folgen für Stabilität von Demokratie
bei - Verfall der Organisations- oder Personalstärke
von Parteien - große Volatilität des Wahlverhaltens
48Wahlsystem und Demokratie
- Ein von der Bevölkerung als fair empfundenes
Wahlsystem führt den Bürgern vor Augen, daß auch
die gerade nicht Regierenden in den politischen
Prozeß einbezogen sind. - macht die Unterscheidung von Verfassungsordnung
und (aktueller) Regierung plausibel - Wiederwahlmechanismus gibt die letzte Macht
tatsächlich in die Hand der Bürger. - Unabdingbar, doch mitunter schwer zu verbinden
- Minderheitenschutz vor allem dann, wenn in
ethnisch heterogenen oder multikulturellen
Gesellschaften Demokratie stabilisiert werden
soll. - ansonsten vom Entzug von Legitimitätsglauben
zum Sezessionsversuch - und genau darum Risiko, daß multiethnische
Systeme beim Übergang von der Diktatur zur
Demokratie zerfallen - Sicherung nicht nur der faktischen Möglichkeit
von Mehrheitsentscheidungen, sondern auch des
Glaubens, sie seien legitim - weswegen Konsoziationalismus (consociationalism
, Lijphart) von einer Problemlösung wiederum zu
einem Problem werden kann ? blockadeträchtige
Vermehrung von Vetopunkten in
Konkordanzsystemen - darum (nicht nur deutsches) Sonderproblem
Maximierung des Nutzens von Demokratie bei
Verringerung ihrer Kosten durch eine Verbindung
von Föderalismus und Demokratie
49Föderalismus und Demokratie
- Vorteile von Föderalismus gerade für
demokratische Systeme - Föderalismus verhindert, daß sich die Wucht
politischen Streits üblicherweise an einer
einzigen Stelle konzentriert - Macht- und Postenverteilung sind (auch) entlang
von ethnischen oder kulturellen Scheidelinien
(cleavages) möglich - Anreiz für inter-ethnische oder inter-kulturelle
Koalitionsbildungen über die Cleavages zum Zweck
der erforderlichen Mehrheitsbildung hinweg - Anreiz für die Entstehung intra-ethnischer oder
intra-kultureller Konflikte innerhalb der
jeweiligen substaatlichen Einheiten, womit
Möglichkeiten für die Entstehung querliegender
Cleavages geschaffen werden - Nicht Gruppe A gegen Gruppe B, sondern Gruppe
A/Land 1 mit Gruppe B/Land1 gegen Gruppe A/Land
2! - Förderung von Anstrengungen dahingehend, daß
Ungleichgewichte zwischen den ethnischen oder
kulturellen (Teil-)Gruppen überwunden werden. -
Achtung Es sind stets die Transaktionskosten und
die Blockademöglichkeiten von Föderalismus
gegenzurechnen!
50Voraussetzungen von Demokratie zusammenfassende
Hinweise
- Voraussetzungen entstehen in kontingent-pfadabhäng
iger Evolution - nur selten kann ein demokratisierender Eroberer
der Demokratie erfolgreich den Weg bahnen
(Deutschland und Japan vs. Irak) - historische Großereignisse bahnen
Entwicklungswege, die schwer zu verlassen sind - Spanischer Bürgerkrieg ? Franco-Diktatur
- sowjetische Machtübernahme in Osteuropa ?
realsozialistische Diktaturen - Bei vielen Demokratisierungsversuchen sind die
Voraussetzungen für einen Demokratisierungspfad
gerade nicht gegeben, weshalb die meisten
voluntaristisch neu geschaffenen Demokratien
zunächst einmal zusammenbrechen. - Bislang entstanden Demokratien fast nur im
europäischen Siedlungsgebiet - Bis heute ist es eine offene und im asiatischen
wie im arabischen Raum sogar vielfach verneinte
Frage, ob sich Demokratie wohl überhaupt für
Gesellschaften eignet, die kulturell ganz anders
als der Westen geprägt sind. - Statistische Analysen zeigten Am engsten hängt
in nicht-europäischen Staaten mit bestehender
demokratischer Ordnung zusammen, ob dieser Staat
einst eine englische Kolonie war!
(Diffusionismus) - Im übrigen hängt das Schicksal von (neuen)
Demokratien davon ab, - ob sie effektives Regieren ermöglichen
- in welchem Umfang wirtschaftliche (Konjunktur-)
Lagen, die ein effektives Regieren erleichtern,
in die kritischen Phasen des Aufbaus von
Demokratie fallen
51Wann ist Demokratie konsolidiert?
- Wenn
- alle wichtigen politischen Elitegruppen
- die allermeisten Parteien und Organisationen
- eine überwältigende Mehrheit unter der
Bevölkerung - sich fest und fraglos mit einer demokratischen
Verfassungsordnung identifizieren, - routinemäßig im Übereinklang mit den Regeln und
Verhaltensauflagen dieser Verfassungsordnung
handeln, - und in aller Selbstverständlichkeit darauf
vertrauen, daß dies alles auch vom politischen
Gegner so gehandhabt wird.
52Messung von Identifikationmit der Demokratie
Bevölkerungsumfragen
- Erhoben wird die Einstellung zu fünf
Bezugspunkten politischer Unterstützung - politische Gemeinschaft ( eigener Staat)
- Systemprinzipien
- typische Indikatoren Demokratie beste
Staatsform?, Unterstützung von Alternativen zur
Demokratie - Systemperformanz
- Zufriedenheit mit den konkreten Leistungen des
Systems - Vertrauen zu den einzelnen Institutionen des
politischen Systems - Unterstützung für konkrete politische Akteure,
etwa Spitzenpolitiker - wenig aussagekräftig für allgemeine
Systemidentifikation
einige Befunde
53Demokratiekonsolidierung in Mittel- und Osteuropa
Quelle Larry Diamond, Consolidating Democracies,
in Comparing Democracies 2, ed. By Lawrence
LeDuc et al., Lpndon u.a. 2002, S. 216, 217
54Demokratiekonsolidierung in Südamerika
Quelle Larry Diamond, Consolidating Democracies,
in Comparing Democracies 2, ed. By Lawrence
LeDuc et al., Lpndon u.a. 2002, S. 219, 220
55Demokratiekonsolidierung in Deutschland I
56Demokratiekonsolidierung in Deutschland II (Daten
aus 1998)
57Kennzeichen von erfolgreichen Übergangsstaaten
nach Chalmers Johnson 1987 und Larry Diamond 2002
- ein Regierungssystem, das die Regierenden
verläßlich und in den Augen der Regierten am
Mißbrauch ihrer Macht hindert (Keine
Korruption!) - ein Regierungssystem, das Marktmechanismen wirken
läßt - stabiles Regieren durch eine politische und
bürokratische Elite, welche in der Lage ist,
Druck auf solche Entscheidungen hin abzuwehren,
welche das wirtschaftliche Wachstum verringerten - faire Verteilung der Erträge aus dem
Wirtschaftswachstum - Kooperation zwischen staatlichen Stellen und dem
privaten Sektor in einflußreichen
Planungsagenturen - große Investitionen in die Breitenerziehung
- das heißt die Struktur des Regierungssystems ist
weniger wichtig als dessen - grundsätzliche Stabilität
- Freiheit von Korruption
- marktwirtschaftliche Orientierung
- Ausrichtung an sozialer Gerechtigkeit
- Hinwirken auf ein hohes Bildungsniveau
ist nicht mit jedem Typ von Regierungssystem
vereinbar!
58Demokratiekonsolidierung In was muß man
politisch investieren?
- Bindung aller staatlichen Akteure an Recht,
Verfassung und das Ziel guten Regierens, v.a.
durch - gut ausgestattetes und von der Politik
unabhängiges Justizsystem mit gut ausgebildetem
und angemessen bezahltem Personal - effektive Institutionen zur Entdeckung und
Verfolgung von Korruption auf Seiten öffentlich
Bediensteter - Stärkung der Bürgergesellschaft (Vereine,
Interessengruppen, Massenmedien, Think Tanks ) - Deren Aufgaben
- Erzeugung gesellschaftlicher Nachfrage nach
Reformen - zusätzliches Forum der Regierungskontrolle
- politische Aufklärung und Bildung der Bürger
Gewinnung von Bürgern für politische Beteiligung
Verhindern einer zynischen Haltung zum
demokratischen System - Ansatzpunkte für eigene politische Beteiligung
vor allem von Armen und Marginalisierten
59Huntingtons Rezepte
Fall I Von der autoritären Diktatur schrittweise
zur Demokratie!
Samuel P. Huntington, The Third Wave.
Democratization in the late Twentieth Century,
Norman 1991
- Demokratieanhänger rasch in Schlüsselpositionen
von Regierung, Partei und Militär bringen! - Regimeveränderungen möglichst im Rahmen
etablierter Prozeduren des alten Regimes dabei
den Hardlinern des bislang herrschenden Blocks
symbolische Konzessionen machen! - Bisherige Opposition soll soziale Basis rasch
erweitern, um sich aus der Abhängigkeit von
veränderungsfreudigen Regierungsgruppen zu
befreien! - Auf der Hut sein vor Staatsstreich der alten
Kräfte! Gegebenenfalls selbst einen Staatsstreich
provozieren, um mit seiner Niederschlagung auch
die Anhänger des alten Systems zu diskreditieren! - Im Demokratisierungsprozeß die Initiative
bewahren, auf Tempo drücken und nie
Demokratisierungsmaßnahmen erst auf Druck von
radikaleren politischen Kräften ergreifen! - Reformerwartungen zurückstufen und eher von der
Aufrechterhaltung eines Prozesses sprechen als
eine demokratische Utopie zu verheißen! - Entwicklung einer gemäßigten Oppositionspartei
fördern, die von den Schlüsselgruppen der
Gesellschaft als nicht bedrohliche
Alternativregierung akzeptiert werden kann! - Demokratisierung als unvermeidbar hinstellen, so
daß sie selbst von jenen als notwendig akzeptiert
wird, die sie eigentlich ablehnen!
60Huntingtons Rezepte
Fall II Von der autoritären Diktatur durch eine
ruptura zur Demokratie!
Samuel P. Huntington, The Third Wave.
Democratization in the late Twentieth Century,
Norman 1991
- Greife dauerhafte und für viele Bürger erkennbar
die zweifelhafte Legitimität oder Illegitimität
des bestehenden Systems an! - Arbeite mit Leuten zusammen, die sich von
ehemaligen Befürwortern des Regimes zu neutralen
oder gar gegnerischen Kräften gewandelt haben! - Kultiviere Beziehungen zum Militär Du wirst bei
einer krisenhaften Zuspitzung der Lage gute
Kontakte zu hohen Militärführern brauchen! - Predige und praktiziere Gewaltlosigkeit dann
bekommst Du in der Regel das Militär nicht zum
Feind und obendrein vielerlei mitmenschliche
Unterstützung! - Laß Dir keine Chance auf die Äußerung von
Gegnerschaft zum Regime entgehen vor allem
Beteilige Dich sogar an Scheinwahlen! - Suche und halte engen Kontakt mit weltweiten
Medien, ausländischen Menschenrechtsorganisationen
und transnationalen Organisationen wie den
Kirchen! - Suche und fördere die Einheit der
Oppositionsgruppen unter einer Dachorganisation! - Fülle im Fall eines einsetzenden
Regimezusammenbruchs rasch des Macht- und
Autoritätsvakuum, und zwar durch ... - Herausbildung und Unterstützung eines populären,
charismatischen und dabei demokratisch
orientierten Führers - schnelle Herbeiführung von Wahlen, um der neuen
Regierung Legitimitätsglauben zu beschaffen - Mobilisierung von Unterstützung durch
ausländische und transnationale Akteure
61Huntingtons Rezepte
Fall III Reformen innerhalb einer autoritären
Diktatur Ratschläge für Reformer
Samuel P. Huntington, The Third Wave.
Democratization in the late Twentieth Century,
Norman 1991
- Isoliere und schwäche die Fraktion der
maximalistischen Hardliner! - Konsolidiere die Stellung der Reformer in der
politischen Maschinerie des Regimes! - Ergreife die Initiative und überrasche sowohl die
Opposition als auch die Hardliner mit
Konzessionen mache aber niemals Konzessionen
unter offensichtlichem Druck seitens der
Opposition! - Suche nach Unterstützung für ein Konzept einer
verhandelten Regimereform auf Seiten von
führenden Generälen und Spitzenfunktionären im
Sicherheitsapparat! - Tue alles Erdenkliche dafür, daß die wichtigsten
Verhandlungspartner der Opposition relativ
moderate Positionen vertreten! - Richte vertrauliche Kommunikationskanäle zu den
Oppositionsführern ein! - Triff Vorsorge für den Fall eines erfolgreichen
Abschlusses von Verhandlungen mit der Opposition
dahingehend, daß die dann (mit-) regierende
Opposition Garantien für die Sicherheit und
Stellung von Gruppen übernimmt, die mit dem alten
System verbündet waren, sich in dieser Rolle aber
nicht sonderlich diskreditiert haben! - Ergreife Chancen stets beim Schopf gute
Gelegenheiten kehren selten wieder! Im übrigen
kann die politische Zukunft des
Verhandlungspartners von einem deutlichen
Vorankommen abhängen. - Mache Dir und anderen klar, daß ein Pakt zwischen
den Reformkräften im alten System und der
Opposition eine der wenigen Alternativen zur
Dialektik von Stillstand und Revolution ist! - Im Zweifelsfall laß Dich immer auf Kompromisse
ein!
62Damit sollte klar sein, ...
- was Demokratie typischerweise ist
- welche Arten von Demokratien man unterscheidet
- was Demokratie bringt
- was Demokratie kostet
- was Demokratie im Vergleich zur Diktatur leistet
und was nicht - Wovon das Entstehen / Bestehen von Demokratie
wohl abhängt - was es bei der Errichtung demokratischer
Strukturen zu beachten gilt
63Vorlesung Systemvergleich
Noch Fragen? -Bitte!