Title: Sitzung 6
1Herrschaft und Macht in der feministischen
Theoriebildung
2Textgrundlage
- Cornelia Klinger
- Macht Herrschaft Gewalt
- Zur Autorin
- Philosophin
- Institut für die Wissenschaften vom Menschen, Wien
3Diskussionsstränge um die Begriffe
- Sind Frauen machtlos?
- Wollen Frauen überhaupt macht?
- Herrschen Männer über Frauen?
- Sind Frauen friedfertig?
4Differenztheoretische Perspektive
- Frauen sind gewaltloser/friedfertiger
- Frauen scheuen vor Machtpositionen zurück
- Frauen agieren herrschaftsfreier
5Relevanz der Begriffe für (feministische) Politik
(-wissenschaft)
- Machtlosigkeit Ohnmacht
- Herrschaftsfreiheit
- Männerherrschaft/Patriarchat/Androkratie
- Gewaltfreiheit
6Zentralbegriffe der Politikwissenschaft
- Unterscheidung zwischen Macht Herrschaft
Gewalt als zentrale Definitionsleistung - Erste Definitionsvorschläge/semantische Felder
- Macht Stärke, Kraft, Fähigkeit, Autorität,
Privileg - Gewalt Zwang, Aggression, Repression
- Herrschaft Befehl/Gehorsam, Regierung, Ordnung,
Kontrolle, Hegemonie
7Max Webers Definition von Macht und Herrschaft
- Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer
sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen
Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf
diese Chance beruht (). Alle denkbaren
Qualitäten eines Menschen und alle denkbaren
Konstellationen können jemand in die Lage
versetzen, seinen Willen in einer gegebenen
Situation durchzusetzen. - Weber, Max (1980/1922) Wirtschaft und
Gesellschaft. Grundriß der verstehenden
Soziologie. Tübingen Mohr.
8Weber Macht und Herrschaft
- amorpher Begriff von Macht, Qualität eines
Menschen, herrschafts- und gewaltfern - Präziser soziologischer Begriff von Herrschaft
- Herrschaft soll heißen die Chance, für einen
Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen
Gehorsam zu finden. (ebd.)
9 Tabelle 1.2.2 Herrschaft, Macht und Legitimität im Überblick Tabelle 1.2.2 Herrschaft, Macht und Legitimität im Überblick Tabelle 1.2.2 Herrschaft, Macht und Legitimität im Überblick Tabelle 1.2.2 Herrschaft, Macht und Legitimität im Überblick Tabelle 1.2.2 Herrschaft, Macht und Legitimität im Überblick
Begriff Definition Funktion Formen Zentrales Kriterium
Herr- Schaft Herrschaft soll heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden. (Weber) Herstel- lung einer politisch-en Ordnung Klassische Formen - Monarchie - Aristoteles - Demokratie Typen legitimierter Herrschaft (Weber) - Traditionale H. - Legale H. - Charismatische H. Ordnung
Macht Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Bezie-hung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durch-zusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht. (Weber) Durchset-zung einer politisch-en Ordnung - Durchsetzungs-macht -Verhinderungs-macht - Thematiserungs-macht Durch-setzung
Legiti-mität Unter Legitimität versteht man die Anerkennung einer politischen Ordnung als rechtmäßig. Stabilie-sierung einer politisch-en Ordnung - L. qua göttlicher Bestimmung - L. qua geschichtlichen Auftrag - L. qua Zustimmung Geltung
Eigene Darstellung Eigene Darstellung Eigene Darstellung Eigene Darstellung Eigene Darstellung
10Drei Tendenzen des Machtbegriffs Hannah Arendt
- Macht erscheint zunehmend als interaktiv Macht
ist die ability to act in concert. Handlung im
Sinne von doing power - Macht löst sich von der Fixierung auf Gewalt als
Instrument der Realisierung von Macht Power and
violence are opposites Where the one rules
absolutely, the other is absent ... Violence can
destroy power.
11Drei Tendenzen des Machtbegriffs Hannah Arendt
- Macht löst sich von ihren Subjekten Macht ist
keine Eigenschaft von Individuen, sondern Macht
entsteht in einer Gruppe - Tendenz Macht wird als neutral, wenn nicht sogar
positiv aufgefasst - Gewalt erscheint als negativer Gegenbegriff
12Negativer Gewaltbegriff
- Strukturelle Gewalt (Johan Galtung)
(nicht-personal, indirekt) - Gewalt ist nicht mehr eine bloße physische
Beschädigung, oder ein(en) Angriff auf Leib und
Leben. Sondern Gewalt liegt dann vor, wenn
Menschen so beeinflußt werden, daß ihre aktuelle
somatische und geistige Verwirklichung geringer
ist als ihre potentielle Verwirklichung.
13Strukturelle Gewalt
- Ungleiche Verteilung von Ressourcen,
Lebenschancen und Entscheidungsgewalt - Ein in die Sozialstruktur eingelassene Form von
Gewalt / institutionalisierte Gewalt
14Gewaltbegriffe
- Staatsgewalt potestas
- Violentia Verletzung
- Physisch (eng)
- Psychisch (eng)
- Mental
- Strukturell und kulturell (Galtung) (weit)
- Symbolisch (Bourdieu) (weit)
- Epistemisch (Spivak) (weit)
- Pierre Bourdieu
- Gayatri Chakravorty Spivak
15Herrschaft
- Herrschaftskonzept wurde in den Hintergrund
gedrängt - Herrschaft Institutionalisierte Macht (Heinrich
Popitz) - Herrschaft dauerhafte Ordnung
- Herrschaft Staatliche Ordnung/Staatsgewalt
16Die Leistungen der ersten Phasefeministischer
Theoriebildung in Bezug auf die
Begriffsdefinitionen
- Feministische Theorie Macht- und
Herrschaftskritik gt negativer Macht- und
Herrschaftsbegriff - Traditionen feministischer Macht- und
Herrschaftskritik - 1. aufklärerisch-liberale Tradition (Aufhebung
von Macht durch das Recht) - 2. Differenztheorie (Männlichkeit Macht und
Herrschaft, Machtferne von Frauen) - 3. Marxistischer Feminismus (Patriarchatskritik
analog zu Kapitalismuskritik Geschlechterverhältn
is als Herrschaftsverhältnis) - 4. Radikalfeminismus (männliche Macht versus
weibliche Ohnmacht)
17Erste Phase feministischer Begriffsdefinition
- 1) Infragestellung der Trennung zwischen dem
Öffentlichen und dem Privaten (gegen Vertuschung
von Macht und Herrschaft im Privatbereich und von
Asymmetrien zwischen den Geschlechtern Liebe
unter Machtverdacht) - Tabuisierung der Gewaltthematik wird durchbrochen
(Gewalt als integraler Bestandteil der
Geschlechterordnung) - Identifikation des politischen und
gesellschaftlichen Charakters des
Geschlechterverhältnisses als Macht-,
Herrschafts- und Gewaltverhältnis
(Patriarchatskritik)
18Definition des Patriarchats(Metz-Göckel)
- Das Patriarchat ist eine Form der
Geschlechterhierarchie, die alle
gesellschaftlichen Bereiche durchzieht, aber
selbst historischen Wandlungen unterworfen ist
und über Zwang und Gewalt, aber auch
Verinnerlichungen, d.h. Psychologisierung der
Über- und Unterlegenheitsstrukturen, bei Männern
und Frauen aufrechterhalten wird. - Metz-Göckel, Sigrid (1987) Die zwei ungeliebten
Schwestern. Zum Verhältnis von Frauenbewegung und
Frauenforschung im Diskurs der neuen sozialen
Bewegungen, in Beer, Ursula (Hg.) Klasse
Geschlecht, Feministische Gesellschaftsanalyse
und Wissenschaftskritik. Bielefeld AJZ, S. 28.
19Zweite Etappe feministischer Begriffsbildung
- Kontext Postmoderne
- Niedergang von Großtheorien (Marxismus)
- Poststrukturalismus und Dekonstruktion
- gt neue feministische Konzeptualisierungen von
Macht, Herrschaft und Gewalt - Diskussion um Frauenmacht als subjektives
Handlungspotenzial (Empowerment, affidamento) - Differenzen und Herrschaft zwischen Frauen werden
thematisiert - Frauen als Mittäterinnen (Christina
Thürmer-Rohr)
20Zweite Etappe feministischer Begriffsbildung
Positiver Machtbegriff
- Macht als Fähigkeit/Vermögen zu Handeln
(Anschluss an Hannah Arendt) - Unterscheidung zwischen Power over, power
to, power with (Amy Allen) - Bezug auf Michel Foucaults Machtkonzept
- Repressiver UND produktiver Charakter der Macht
21Foucaults Definition von Macht
- Macht ist die Vielfältigkeit von
Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und
organisieren das Spiel, das in unaufhörlichen
Kämpfen und Auseinandersetzungen diese
Kräfteverhältnisse verwandelt, verstärkt,
verkehrt () Die Macht ist der Name, den man
einer komplexen strategischen Situation in einer
Gesellschaft gibt. - Foucault, Michel (1978) Dispositive der Macht.
Über Sexualität, Wissen und Wahrheit. Berlin
Merve. S. 114.
22Foucaults Machtdefinition
- Foucault sieht Macht nicht nur als juridischen
Mechanismus, sondern überall verortet (auch im
Geschlechterverhältnis) gt Mikrophysik der
Macht - Produktive Dimension von Macht
- Macht-Wissens-Komplex gt
- Macht als Disziplinierung des (weiblichen)
Körpers - Klingers Kritik an Foucault
- Desorientierung der politischen Praxis Es gibt
kein außerhalb der Macht
23Perspektiven feministischer Begriffsbildung
- Geschlechterverhältnis als Gewaltverhältnis
- Veränderung von Rechtsnormen als Erfolg der
Begriffsarbeit (Gewaltschutzgesetze,
Vergewaltigung als Kriegsverbrechen) - Aber Moralisierung von Gewalt auf der
internationalen Ebene (Krieg zum
Menschenrechts-/Frauenschutz)
24Perspektiven feministischer Begriffsbildung
- 2. Geschlechterverhältnis als Machtverhältnis
- Machtverhältnisse wurden komplexer (Ebene der
Repräsentation, der symbolischen Ordnungen) - 3. Geschlechterverhältnis als Herrschaftsverhältni
s - Konzeptualisierung von Herrschaft
(sozialstrukturelle Dimension von
Geschlechterverhältnissen) blieb durch den
dekonstruktivistischen Turn auf der Strecke
(These Klinger) gt Desiderat - Wiederaufnahme der Herrschaftsanalyse