PowerPoint-Pr - PowerPoint PPT Presentation

About This Presentation
Title:

PowerPoint-Pr

Description:

Mythen und Modelle des Sprachursprungs (in unterschiedlichen Wissenskulturen) Prof. Dr. Wolfgang Wildgen Vortrag im Zentrum philosophische Grundlagen der ... – PowerPoint PPT presentation

Number of Views:55
Avg rating:3.0/5.0
Slides: 43
Provided by: fb10Unib
Category:

less

Transcript and Presenter's Notes

Title: PowerPoint-Pr


1
Mythen und Modelle des Sprachursprungs(in
unterschiedlichen Wissenskulturen)
Prof. Dr. Wolfgang Wildgen
Vortrag im Zentrum philosophische Grundlagen der
Wissenschaften, Universität Bremen
5. Dezember 2006 1715, SFG 3070
2
  • Inhaltsverzeichnis
  • 1 Mythen oder Modelle (übersprungen)
  • 2 Die Vielfalt der Sprachursprungsmythen
  • 3 Die Version des Alten Testaments
  • 4 Der griechische Mythos der drei Weltalter
  • 5 Vom Mythos zu ersten vernünftigen und
    natürlichen Modellen im 18. Jh.
  • 6 Aktuelle Modelle des Sprachursprungs oder nur
    neue Mythen?
  • 7 Einschränkende Bedingungen für jedes
    wissenschaftliche Modell des Sprachursprungs
  • 8 Die funktionale Kontinuität zwischen Mythen und
    Modellen

3
Mythen und Modelle Wo liegt die Grenze
  • Mythen sind für den eingeweihten Gläubigen einer
    Religion Inhalte von besonderer Würde und tiefer,
    unergründlicher Wahrheit. Dagegen sind
    alltägliche Urteile unzuverlässig, subjektiv, ja
    oft trügerisch, täuschend. In diesem Sinne einer
    dichterisch mit dem Siegel unergründlicher
    Wahrheit versehenen Erzählung begegnen wir dem
    Begriff Mythos bei Homer, d.h. im
    vorsokratischen Griechenland.

4
  • Vom Standpunkt einer anderen Kultur betrachtet,
    einer geografisch oder historisch entfernten,
    wird daraus aber eine phantasievolle Geschichte,
    eine Mär, vielleicht sogar eine freche Lüge. Die
    Römer benützten den Begriff fabula, den wir in
    fabulieren in seiner negativen Bedeutung
    vorfinden.
  • In der griechischen (sokratischen) Aufklärung
    wird dagegen das gewöhnliche Wort, der Logos, zum
    Ideal des richtigen Redens und Denkens
    emporgehoben.

5
Sprachursprungsmythen Entwicklung in der Neuzeit
  • In der Renaissance werden, zumindest in der
    Kunst, die antiken Mythen der christlichen
    Bilderwelt hinzu-gefügt.
  • Die hermetische Bewegung versucht, die Einheit
    des Mythos durch Rückgriff auf chaldäische und
    ägyptische Mythen (wieder) herzustellen und
    gefährdet damit den Wahrheitsanspruch der
    christlichen Bibel.
  • Die Reformation und Gegenreformation werden diese
    Bewegung abwehren und dabei extreme Denker wie
    Giordano Bruno, der das Christentum auf
    ägyptische (vormosaische) reine Mythen
    zurückführen und gleichzeitig rational
    (kopernikanisch) fundieren wollte, verurteilen.

6
  • Nach dem zähen Behauptungskampf des
    Rationalis-mus gegen Feudalsystem und Klerus im
    18. Jh.(Fr. Revolution) wird der Mythos von den
    Romantikern wieder entdeckt. Charakteristisch ist
    das Sammeln von Mythen und Märchen durch die
    Brüder Grimm.
  • Die Bewegung wird für die nationale Neubesinnung
    instrumentalisiert und schließlich von Wagner und
    Chamberlain zu einer Form geführt, die in
    Rosen-bergs Mythus des 20. Jh. in der Nazi-Zeit
    ihr hässlichstes Gesicht zeigt.
  • Mythos ist jetzt nicht nur zur haltlosen
    Phantasterei, sondern gar zur Technik des
    politischen Betrugs und zum Instrument des
    Völkermordes geworden (vgl. Cassirer, 1945 The
    Myth of the State).

7
Modell Entwicklung des Konzepts
  • Der Begriff Modell, wird in erster Linie für
    die im Maßstab verkleinerte Darstellung eines
    Originals benützt.
  • In der Nachbarschaft von Theorien, wie Newtons
    Mechanik, Maxwells Wellenlehre, Einsteins
    Relativitätstheorie, Plancks Quantenmechanik wird
    er positiv umgewertet werden.
  • Er wird zum Inbegriff der wissenschaftlich
    garantierten Wahrheit und beerbt damit in der
    Wertschätzung den antiken Mythosbegriff
  • Allerdings entwickelt sich im Laufe des 20. Jh.
    eine Skepsis bezüglich Theorien, besonders
    solchen, welche den Menschen und die Gesellschaft
    betreffen. Sie erscheinen häufig als beliebige
    Konstruktionen, die zu dekonstruieren gilt.

8
Dialektik von Mythos und Modell
  • In dieser dialektischen Perspektive scheinen
    Mythen und Modelle fast als Varianten eines
    Konzepts sprachlich gestaltete, mehr oder
    weniger zuverlässige Auseinander-setzungen mit
    der Wirklichkeit.
  • Dass Mythos eine gewisse Relevanz, ein Gewicht
    der Fragestellung voraussetzt und Modell eher
    verniedlichend wirkt, mag im Folgenden
    zweitrangig sein, denn Fragen nach dem Ursprung
    der Welt, des Menschen, der Gesell-schaft sind
    immer gewichtig. Der Zweifel bezieht sich eher
    auf die Qualität möglicher Antworten.
  • Die Qualität der Antworten entwickelt sich
    gemeinsam mit den Gesellschaften und deren
    kulturellen (intellektuellen) Niveau. Die Frage,
    ob Modelle besser sind als (frühere) Mythen ist
    letztlich die Frage nach der Möglichkeit eines
    kulturellen Fortschritts.

9
Die Vielfalt der Sprachursprungsmythen
  • Bei der Durchsicht der Mythen wird deutlich, dass
    sie in enger Verbindung zu zentralen kulturellen
    Erfin-dungen stehen Jagd, Ackerbau, Viehzucht,
    Stein- und Metallverarbeitung usw.
  • Große Naturgewalten spielen eine wichtige Rolle
    die Sonne (helldunkel), die Winde, vulkanisches
    Feuer, Erdbeben, Flutwellen. Sie bestimmen den
    Relevanzhorizont des Mythos.
  • Die Schöpfung der Sprache ist eng mit der
    Schöpfung des Menschen verbunden sie kann als
    magisches Wort dieser vorausgehen, oder das Wort
    wird dem Menschen gegeben (bevorzugt als Name,
    Benennung des vorher Geschaffenen).

10
Der Mensch wird zuerst sprachlos geschaffen
  • Im Hopi-Mythos wird den Menschen vom Zwilling
    Sotukriang die Sprache verliehen, und zwar je
    nach Hautfarbe eine verschiedene. Hier werden
    also Sprachursprung und Sprachverschiedenheit
    simultan erklärt, wobei die Hautfarbe (letztlich
    das Klima) als Grund der Differenz genannt wird.
    Viele Sprachursprungsmythen beinhalten eine
    nachträgliche Ausstattung des geschaffenen
    Menschen mit Sprache.
  • In einigen Mythen versucht der Schöpfer mit
    seinen Geschöpfen zu kommunizieren oder er
    erwartet von ihnen, angesprochen, angebetet zu
    werden. Er schafft so lange weitere Wesen, bis er
    dieses Ziel erreicht hat.

11
  • In einem Mythos aus Mikronesien schafft Gott
    Menschen, aber sie verstehen ihn nicht, da sie
    taubstumm und einfältig sind. Er vervollkommnet
    ihren Körper, öffnet ihnen Augen und Ohren,
    befähigt sie, sich zu bewegen und löst ihnen
    schließlich die Zunge. Einen ähnlichen Ablauf der
    Begabung des Menschen finden wir im Mythos des
    amerikanischen Indianervolkes Winnebago. Hier
    verleiht der Erdenbilder den Geschöpfen
    nachein-ander Verstand (Gedanken) ? Zunge ?
    Seele und öffnet ihnen den Mund, so dass sie
    atmen.
  • Im Mythos der Quiché-Maya wird der Mensch
    geschaffen, damit es bessere Wesen als die Tiere
    gibt. Im Unter-schied zu diesen Geschöpfen
    zeigten sie höhere Fähig-keiten
  • Und die Menschen sprachen, unterhielten sich,
    sahen und hörten, liefen und ergriffen Dinge.
    (Steinwede und Fürst, 2004 147)

12
  • Die genannten Mythen bestimmen gleichzeitig eine
    hierarchische Abfolge von Fähigkeiten, quasi eine
    evolutionäre Sequenz.

Mikronesien Winnebago
Schöpfung des Menschen (quasi im Rohzustand) Schöpfung des Menschen (quasi im Rohzustand)
Verstand (Gedanken)Zunge (Artikulation)Seele (Fühlen)Mund (Atem, Phonation) KörperverfeinerungAugen, Ohren (Sinne)Bewegung (Motorik)Zunge (Sprechen)
13
  • In vielen Mythen lehrt Gott die Menschen
    sprechen, zeigt ihnen die Namen der Dinge (im
    Inka-Mythos). Das Sprechen kann aber auch von
    Tieren gelernt werden. Der sibirische Mythos der
    Tschukschen bestimmt die Raben als Lehrer
  • Die Raben krächzen, die Menschen krächzen
    zurück (ibidem 83).
  • Affen spielen im Mythos der Tolteken eine Rolle.
    Wie in anderen Mythen, gibt es hier Zyklen der
    Schöpfung und Zerstörung. Dabei verbrennen die
    Menschen zu roten Steinen oder werden zu Affen.
    Der Affe wird als eine Stufe der Reduktion, der
    Regression gesehen, was zumindest einen
    Zusammenhang stiftet, der mit Darwins These
    kommensurabel ist.

14
Zwischenfrage Haben alle Kulturen Mythen
(Erklärungen des Sprachursprungs)?
  • Entgegen der seit Durkheim geläufigen Ansicht,
    gerade primitive Kulturen hätten Mythen,
    Rituale, Magie, behauptet Douglas (1996) und
    belegt dies an Bei-spielen, dass es ebenso wie
    heute immer schon Kulturen gab, die auf rituelle
    Formen und religiöse Formen weitgehend verzichten
    und deren Gebrauch für unsinnig halten (z.B. die
    Pygmäen-Kulturen in Afrika).
  • Die soziale Konstruktion von Mythen ist an
    gewisse Formen des Zusammenlebens, der Offenheit
    / Geschlossenheit des Sozialsystems gebunden.
  • Soziale Strukturen die eher geschlossen sind,
    erzeu-gen auch globale Mythen, feste Rituale und
    stark verbindliche Rollensysteme.

15
Mythische Grundlagen moderner Modelle
  • Sicher gab es vor der Jungsteinzeit (dem
    Neolithikum) ganz andere Kulturen und Mythen. Aus
    den überlieferten Mythen lässt sich immerhin eine
    Folk-Theorie ablesen, nach der entweder gewisse
    Sprechakte ein magischer Sprechakt, eine
    Benennung, eine Anbetung am Anfang standen oder
    in der die Sprache auf andere kognitive,
    sensorische, motorische Fähigkeit aufbaut bzw.
    vom Tier (den Raben) gelernt wird oder vom
    degenerierten Menschen, dem Affen, verlernt wird.
  • Da die oben beschriebenen Mythen Kulturen
    entstammen, die nicht zum westlichen
    Traditionsstamm gehören, mögen sie für jene
    Vielfalt stehen, die insgesamt existiert.
  • Die biblische Erzählung und der griechische
    Mythos wirken dagegen über das Mittelalter und
    die Renaissance direkt als Vorläufer der ersten
    Theorieansätze im 18. Jh.

16
Die biblische Erzählung der Schöpfung
  • Im ersten Buch Moses (Genesis) werden zwei
    Schöpfungs-mythen zusammengefügt
  • Gott schuf die Welt in sechs Tagen. Am sechsten
    Tag wurden zuerst die Tiere, dann die Menschen
    (als Mann und Weib) geschaffen.
  • Gott schuf den Mann aus Erde vom Acker und blies
    ihm den Odem des Lebens in seine Nase
    (Genesis,Erstes Buch 27).
  • Dann setzte er den Menschen in den Garten Eden.
    Er ließ Bäume dort wachsen einer dieser Bäume
    trug verbotene Früchte es war der Baum der
    Trennung von Gut und Böse, der eine
    ethisch-moralische Erkenntnis erlaubte, die Gott
    reserviert war. Die Tiere wurden auch aus Erde
    gemacht, die Frau aber wurde aus der Rippe des
    Mannes geformt, sozusagen durch eine Art
    (pflanzlicher) Verpfropfung.

17
Sprachschöpfung als Taufe
  • Die Benennung der Tiere überlässt Gott dem
    Menschen Adam (Genesis, Erstes Buch 219).
  • Und Gott der Herr machte aus Erde alle die Tiere
    auf dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel
    und brachte sie zu dem Menschen, dass er sähe,
    wie er sie nennte denn wie der Mensch jedes Tier
    nennen würde, so sollte es heißen.
  • Auch der Frau gibt der Mann den Namen (in Luthers
    Übersetzung) Männin.
  • Diese Sprachgebung im Garten Eden, bei der Gott
    an Adam die Benennungsgewalt delegiert (und damit
    auch die Gewalt über Tier, Pflanze und Frau),
    folgt der Schöpfung (durch Gott) und sie ist ein
    Taufakt des Menschen, der damit verbindliche
    Regeln erlässt.

18
Die Vielfalt der Sprachen
  • Der Mythos von Babel löst die Diskrepanz zwischen
    dieser ein für alle Mal von Adam angelegten
    Benennung und der nicht übersehbaren Diversität
    der Sprachen. Im Abschnitt 11 des Buches Genesis
    wird gesagt Es hatte aber alle Welt einerlei
    Zunge und Sprache.
  • Diese Einigkeit gipfelt in der Hybris des
    Turmbaus zu Babel, den Gott verhindert
  • Und der Herr sprach Siehe es ist einerlei Volk
    und einerlei Sprache unter ihnen allen, und dies
    ist der Anfang ihres Tuns nun wird ihnen nichts
    mehr verwehrt werden können von allem, was sie
    sich vorgenommen haben zu tun. Wohlauf, lasst uns
    herniederfahren und dort ihre Sprache verwirren,
    dass keiner des anderen Sprache verstehe! So
    zerstreute sie der Herr von dort in alle Länder,
    dass sie aufhören mußten, die Stadt zu bauen.

19
Der Mythos von den Weltaltern
  • In der hellenischen Antike wird dieser Mythos von
    Hesiod (griechischer Epiker, 7. Jh. v. Chr.)
    berichtet. Nach ihm schufen die unsterblichen
    Götter die redenden Menschen, ein Geschlecht, das
    wie im Paradies lebte (im goldenen Zeitalter) es
    wurde durch weniger glückliche Geschlechter (im
    silbernen und erzenen Zeitalter) abgelöst.
  • Ab dem 6. Jh. v.Chr. bildeten sich alternative
    Sichtweise heraus, die entweder auf natürliche
    Prozesse (in der Naturphilosophie beschrieben),
    auf pure Willkür (bei den Sophisten) oder auf
    einen Dämon, eine innere Seelenkraft, letztlich
    auf die Vernunft (bei Sokrates) setzten.
  • Letztere Ansicht ist eigentlich eine
    Weiterentwicklung religiöser Vorstellungen.
    Dennoch erlitt Sokrates die Todesstrafe wegen
    Gotteslästerung und Verführung der Jugend.

20
Beitrag der Renaissance
  • Die Renaissance brachte schließlich das antike
    Erbe (von Ägypten über den Hellenismus bis zur
    römischen Spätantike) wieder zur Geltung.
  • Die Naturalisierung der Ursprungsfrage prägte
    nach den Wirren von Reformation und
    Gegenreformation die Philosophen des 17. Jh. (im
    Mechanismus von Descartes und im Empirismus von
    Locke). Zentrales Thema der Philosophie wurde die
    Ursprungsfrage aber erst mit Condillac, Rousseau
    und Herder im 18. Jh. Im Prinzip kann man diese
    Denklinie mit den Ansätzen in der Antike
    verbinden, d.h. sie setzt die anti-mythologischen
    (aufklärerischen) Ansätze in Griechenland des 5.
    vorchristlichen Jh.s fort.

21
Sprachursprungstheorien des 18. Jahrhunderts
  • Die naturrechtliche Komponente wird bereits bei
    Samuel Freiherr von Pufendorf (1632-1694)
    deutlich. In seinem Hauptwerk De jure naturae et
    gentium libri octo, 1672, bringt er den Ursprung
    der Sprache in Zusammenhang mit der kulturellen
    und sozialen Evolution nach Lukrez und mit der
    Gesellschaftsphilosophie von Hobbes (1588-1679).
    In den Kapiteln zur Sprache übernimmt Pufendorf
    die Begründung des Lukrez Bedürfnis errang der
    Dinge Benamung und weist eine impositio, d.h.
    Einsetzung der Namen ab dieser würde die
    gesellschaftliche (oder gar die allgemeine)
    Gültigkeit fehlen. Einerseits gibt die Natur
    Sachverhalte vor, die für den Menschen relevant
    werden, so dass er davon eine Vorstellung bildet.
    Konstitutiv für die Sprache ist aber ein
    gesellschaftlicher Konsens, dem das Bedürfnis der
    gegenseitigen Hilfe zu Grunde liegt, d.h. die
    Sprache setzt die Gesellschaft und diese die
    Sprache voraus.

22
Ursprungsmodelle der Aufklärung
  • Die sensualistisch-empiristischen Ansätze und die
    Konzeption, dass die Sprache eine Antwort auf
    grundlegende Bedürfnisse ist (und natürlich auf
    deren Unterschiedlichkeit und Veränderung), ist
    sehr klar bei Condillac ausgeprägt. Dessen
     Essai sur lorigine des connaissances
    humaines  erschien 1746. Er lässt den Menschen
    sich stufenweise über den Zustand des Tieres
    erheben. Im sozialen Verkehr teilen sich die
    Menschen ihre Bedürfnisse durch natürliche Laute
    und Gesten mit. Es kommt zu einer Koevolution des
    Denkens und der Zeichen, wobei letztere
    insbesondere die Gedächtnisfähigkeiten
    außerordentlich erweitern. Später wird die
    Sprache der natürlichen Empfindungen und der
    Gesten durch eine organisierte Lautsprache
    ergänzt, weiterentwickelt, und schließlich werden
    in den heutigen Sprachen die Bereiche von Mimik
    und Gestik zurückgedrängt (dies ist die These des
    gestischen Ursprungs der Lautsprache).

23
Ursprung der Sprache aus der Leidenschaft
  • Jean Jacques Rousseau (1712-1778) entwickelt eine
    pessimistische Kulturtheorie, nach der der Mensch
    für die kulturelle Entwicklung mit moralischem
    Verfall zahlen muss. Im Zusammenhang seiner
    1756 publizierten Schrift  Discours sur
    lorigine et les fondement de linégalité parmi
    les hommes  verfasste er ein Kapitel über den
    Sprachursprung, das posthum (1781) publiziert
    wurde.
  • In Abgrenzung zu Condillac, dessen
    wissenschaftliche Ergebnisse er im Detail
    anerkennt, stellt Rousseau eine alternative
    Konzeption vor, bei der die Emotion, die
    Leidenschaft und nicht Wahrnehmungen und
    Bedürfnisse zur Entstehung der Sprache geführt
    hätten. Diese stehe somit der Musik näher als der
    darstellenden Kunst und sei im Prinzip figurativ,
    d.h. die Metapher sei der Grundtypus des
    Bedeutens gewesen noch bevor es präzise
    Denominationen und Beschreibungen gab.

24
Johann Gottfried Herder (1744-1803)
  • Er steht zwischen französischer Aufklärung und
    beginnender Romantik, zwischen Kant und seinen
    Kritikern, z.B. dem schwärmerisch, dunklen
    Hamann. Auch seine Theorie(n) des Sprachursprungs
    sind Zwitterwesen.
  • Ein starker Nebeneffekt der engen Verbindung des
    sich entwickelndem Verstandes und der Sprache ist
    ein Sprachrelativismus des Denkens.
  • In der Konsequenz der Verschiedenartigkeit der
    Sprachen kann dann eine kulturelle
    Verschiedenheit des Denkens (der Völker)
    angenommen werden.
  • Das Denkens wird als inneres Sprechen (seine
    Kette von Gedanken wird eine Kette von Worten,
    ibidem 85) charakterisiert.

25
Evolutionstheorie vor und bis Darwin
  • Die naturwissenschaftliche Beschäftigung mit dem
    Ursprung von Pflanze, Tier und Mensch, kann bei
    Carl von Linné als Nullpunkt ansetzen. In seiner
    großen Systematik der Pflanzen und Tiere von 1737
    versucht er die Klassifikationen, die seit der
    Antike üblich waren, z.B. in der Zoologie und
    Botanik des Aristoteles, auf eine exakte, d.h.
    auf natürliche, überprüfbare Merkmale achtende
    Beobachtungsbasis zu stellen.
  • Systematischeren Zweifel an der Konstanz der
    Arten äußerte seit 1800 Jean Baptiste de Lamarck.
    Er griff auf die seit der Antike akzeptierte
    Lehre vom natürlichen Drang aller Wesen nach
    Vervollkommnung zurück. Veränderte
    Umweltbedingungen zwängen die Tiere, sich in
    bestimmter Weise zu vervollkommnen.

26
Aufhebung der Konstanz der Arten
  • Die Fortschritte der Geologie zwangen die
    Wissenschaftler zur Aufgabe der Hypothese von der
    Konstanz der Arten, da sie in verschiedenen
    geologischen Schichten aufeinander folgende und
    verschiedene Tier- und Pflanzenwelten nachweisen
    konnten.
  • George Cuvier (1769-1832) versuchte,
    naturwissenschaftliche Evidenz und
    Schöpfungslehre durch seine Katastrophentheorie
    zu versöhnen. In verschiedenen Erdepochen lebten
    danach jeweils unterschiedliche, in der
    jeweiligen Epoche konstante Arten. In einzelnen
    Katastrophen (vergleichbar der Sintflut) wurden
    diese Arten ausgelöscht und eine neue Welt von
    Pflanzen und Tieren wurde geschaffen.

27
Vor dem Eklat
  • Die zugrunde liegende geologische Hypothese einer
    Folge von Katastrophen als alleinige und
    punktuelle Ursache der Veränderung wurde durch
    den Geolo-gen Charles Lyell (1797-1875)
    insbesondere in seinem Hauptwerk Principles of
    Geology demon-tiert. Stattdessen wurde die
    Hypothese eines kon-tinuierlichen Wandels
    aufgestellt (ein philosophischer Vertreter des
    Kontinuitätsgedanken war bereits im 17. Jh.
    Leibniz). Die Situation war also nach 1830
    angespannt, die alten Theorien (z.B. Cuviers) und
    damit der Einklang mit dem Schöpfungsbericht
    schienen unhaltbar und man wartete in
    Wissen-schaftlerkreisen auf einen Eklat. Diesen
    brachte Darwins Buch über die Entstehung der
    Arten 1859.
  • Gould (2002) vertritt heute erneut eine
    Diskontinuitäts-Hypothese er spricht von
    punctuated equilibria.

28
Darwin der Beginn einer Theorie des
Sprachursprungs
  • Unmittelbar nach seinem Buch zur Abstammung des
    Menschen (1871) veröffentlichte Darwin ein Buch
    über den Ausdruck der Gemütsbewegungen bei
    Menschen und Tieren (The Expression of Emotion
    in Man and Animals). Bereits früher hatte Darwin
    darauf hingewiesen (ibidem 150), dass Affe und
    Mensch nicht nur körperliche Ähnlichkeiten und
    Ähnlichkeiten des Geschmacks und der Anfälligkeit
    für Parasiten aufweisen, auch das Weinen und
    Lachen, also grundlegende Ausdrucksmuster, weisen
    auf eine Verwandtschaft hin.
  • Nach 1872 verbesserte und erweiterte Darwin zwar
    die weiteren Auflagen der beiden Bücher zur
    Evolution, er zog sich aber aus der immer
    heftiger werdenden öffentlichen Diskussion
    zurück.

29
Aktuelle Modelle des Sprachursprungs oder nur
neue Mythen?
  • Mit der Entwicklung der Genetik wurde die
    Darwinsche Theorie zur so genannten
    Synthe-tischen Theorie vervollständigt (Fisher,
    1930).
  • Die Populationsgenetik (Cavalli-Sforza, 1996) und
    die Analyse der DNA (Mitochondrien- und Kern-DNA)
    lebender oder ausgestorbener Populationen hat um
    die Millenniumswende eine Situation geschaffen,
    in der Fragen nach dem Ursprung des Menschen,
    seiner Kultur und Sprache zumindest im Ansatz mit
    naturwissenschaftlichen Methoden angegangen
    werden können.

30
  • Folgende Fakten sind Eckpunkte jeder zukünftigen
    Erklärung
  • Der letzte gemeinsame Vorfahre von Mensch und
    Schimpanse (dem nächststehenden Primaten) lebte
    vor ca. 5-7 Millionen Jahren. Die vergleichende
    Verhaltensforschung kann davon ausgehend
    versuchen, das Kommunikations- und
    Sozial-verhalten unserer Vorfahren
    Australopithecus Homo habilis/erectus/ergaster
    Homo sapiens (archaischer Typus) abzuschätzen.
  • Die Mutationsrate der Mitochondrien-DNA erlaubt
    eine Berechnung der Ausgangspopulation aller
    heute lebender menschlicher Populationen vor
    400-200 000 Jahre (mindestes 10 000 Personen).

31
  1. Der moderne Mensch ist vor etwa 80. 000 Jahren
    aus Afrika nach Eurasien eingewan- dert (nach
    Europa erst vor 40.000 Jahren). Seine Anatomie
    (auch die des rekonstruier-baren
    Artikulationstraktes) ist weitgehend mit der des
    heutigen Menschen identisch.
  2. Eine ausgefeilte Werkzeugtechnik und eine
    hochentwickelte Höhlenkunst existierte mindestens
    seit 70. 000 bzw. 35.000Jahren.
  3. Diese Daten ergeben die folgende grobe Zeitskala
    für einzelne Evolutionsstufen der menschlichen
    Sprache

32
Evolutionäre Zeitskala
Vorgeschichte des letzten gemeinsamen Ahnen von Mensch und Schimpanse (Evolution grundlegender Fähigkeiten) Aufrechter Gang, Werkzeugge-brauch, Ausbreitung von Afrika nach Eurasienab 1,7 Mill. J. (bis 15.000 v.h.) Entstehung des modernen Menschen, Ausbreitung über die Erde Entwickelte Steintechniken, Kunst und Schmuck. KulturKunstTechnik Großräumige, vernetzte Gesellschaften Verdrängung der Neandertaler.
60. Mill. bis 7 Mill. J.v.h.. Beginn 2,3 bis 1,7 Mill. J. v.h. 400 000 bis 100 000 J. v.h. Seit 50 000 J. v.h.
Grobe Skala evolutionärer Ereignisse mit
möglichem Bezug zur Evolution der Sprache.
33
Parallelen zwischen Mythen und aktuellen
Modellvorschlägen
  • Mensch und Affe werden als Varianten angesehen
    (vergleichbar mit erwähnten Mythen).
  • Condillacs Sprache des Handelns und die Nähe
    der Gesten zur Sprache etwa von Taubstummen wird
    heute als gestischer Ursprung wieder
    aufgenom-men.
  • Die Hierarchie der kognitiven Fähigkeiten
    kulminiert in der Sprachfähigkeit (einige
    Mythen und Condillacs sensualistischer Ansatz).
    Die Rolle des Gehirns hat auch Herder in seiner
    Spätschrift (Ideen) hervorgehoben. Die sog.
    spandrel-Modelle sehen in der Evolution der
    Sprache einen Nebeneffekt der Evolution des
    Gehirns.

34
Einschränkende Bedingungen für jedes
wissenschaftliche Modell des Sprachursprungs
  • Auch Mythen unterliegen Einschränkungen, die sich
    z.B. in der bevorzugten Abfolge der
    Schöpfungsschritte oder in der Technik der
    Formgebung (z.B. aus Lehm) und der Beseelung
    (durch den Odem Gottes) zeigen. Häufig spielen
    auch Einheitlichkeit (gemeinsamer Ursprung) und
    Diversität (Divergenz) menschlicher Sprachen eine
    Rolle. Im 18. Jh. kamen der Vergleich mit
    Tiersprachen, die Berücksichtigung der großen
    anthropologischen Variabilität der Kulturen und
    Sprachen und die Analyse von Ausfallserscheinungen
    Kaspar-Hauser-Fälle, Taubstumme sowie
    Erkenntnisse zur Rolle des Gehirns für die
    Sprache hinzu.

35
Der Sprung vom Mythos zum Modell
  • Die Erklärung muss im Rahmen einer mehrfach
    abgestützten Theorie, in unserem Falle der
    synthetische Theorie, d.h. der aktuellen Fassung
    der Evolutionstheorie Darwins (seit 1959),
    erfolgen. Dies bedeutet, dass Veränderungen auf
    zufällige Mutationen und deren epigenetische
    Folgen zurückzuführen sind.
  • Alle Funktionen, Wirkungen sind durch einen
    Selektionsprozess zu erklären, der allerdings auf
    sehr unterschiedlichen Ebenen erfolgen kann
  • durch innerkörperliche (oder gar molekulare)
    Selektion,
  • durch sexuelle Selektion (Präferenz für saliente
    Eigenschaften)
  • Durch die Reaktion auf Naturkatastrophen und
    Klimaänderungen.

36
  • Für die jeweilige Selektionsform müssen
    Submodelle mit realistischen Zeitspannen für die
    Interaktion von Mutationen (deren Expression) und
    Selektion.
  • Der sog. drift, zufälliger Verlust von
    Varianten, muss berücksichtigt werden.
  • Die Selektion sozialen und insbesondere
    altruistischen Verhaltens muss erklärt werden.
  • Wegen der statistischen Natur der Mutationen und
    der Dynamik von Selbstorganisationsprozessen
    sollten diese Modelle eine mathematische Form
    haben und am Rechner simulierbar sein.

37
Aktuelle Probleme
  • Die weitere Entwicklung in der Sprachursprungsfors
    chung hängt entscheidend davon ab, ob harte
    einschränkende Bedingungen und exakte
    (mathematisierte) Submodelle, deren Voraussagen
    falsifizierbar sind, gefunden werden.
  • Sie verbietet Deus-ex-machina-Lösungen und muss
    ähnliche ad-hoc-Erklärungen abwehren und damit
    klare Bewertungs-maßstäbe für wissenschaftliche
    Modelle schaffen.
  • Wesentliche Informationen fehlen allerdings und
    müssen entweder durch Zufallsfunde ergänzt werden
    oder durch neue Techniken aus vorhandenen Daten
    extrahiert werden. Insbesondere fehlen
    Informationen über
  • Die kulturelle und soziale Evolution von 100.000
    bis 40.000.
  • Den Ausbreitungsweg out of Africa nach 80.000
    und über die klturelle/soziale Entwicklung auf
    diesem Weg.
  • Zu möglichen Rückwanderungen nach Afrika und zum
    Gen- bzw. Kulturaustausch mit anderen Arten, die
    sich aus der Homo erectus Population entwickelt
    haben (z.B. den Neandertalern).

38
Die funktionale Kontinuität zwischen Mythen und
Modellen
  • Der Mythos hat die Funktion einer Fundierung des
    Heute, des unmittelbar Gegebenen in einer
    Realität illo tempo. Er enthebt das Phänomen,
    in unserem Falle die Sprache, der Zufälligkeiten,
    der Bewertungsschwankungen in der Jetzt-Zeit und
    schafft ein nicht kritisierbares Ideal, an dem
    jetziges Verhalten gemessen werden kann.
  • Die wissenschaftliche Theorie führt diese
    Strategie inso-fern fort, als sie eine
    Architektur der (kausalen) Begrün-dung aufbaut,
    für die ein letztes Fundament postuliert werden
    muss. Wegen der Position solcher Postulate am
    Anfang einer Begründungskette können sie aber nur
    geglaubt werden.
  • Verändert man dieses Fundament, etwa bei einem
    Paradigmenwechsel, wird diese letzte Wahrheit
    zum billigen Konstrukt die Theorie wird
    demystifiziert.

39
  • In der Logik dieser Interpretation sind alle
    Antworten auf die Ursprungsfrage Mythen und
    zugleich notwendige Schlusssteine eines
    theoretischen Fundierungsprozesses.
  • Das Resultat des Fundierungsversuches erscheint
    einerseits als eine besondere Leistung und somit
    als gewichtig, es ist aber andererseits labil, so
    dass ein schneller Wechsel der Bewertung von
    hoher Bedeutsamkeit zum trivialen Konstrukt
    stattfinden kann.

40
  • Dennoch gibt es immer mehr Methoden und
    Argumentationsarchitekturen, welche die Variation
    der Modelle im Hinblick auf eine zunehmende
    Verbesserung und auf eine zukünftige
    Brauchbarkeit gestatten.
  • Diese Kumulation von Lernfortschritten ist
    allerdings in den Naturwissenschaften wesentlich
    stärker entwickelt als in den Geistes- und
    Kulturwissenschaften.
  • So notwendig der Begründungsdiskurs für die
    Wissenschaft ist, so beinhaltet er doch auch ein
    Moment der Machtergreifung, die dem Gestus des
    Mythen-Erzeugens nicht unähnlich ist.

41
Einige bibliographische Hinweise
  • Cassirer, Ernst. 1946, Language and Myth. New
    York/ London.
  • Condillac, Etienne Bonnot de, 1746/1973. Essai
    sur lorigine des connaissances humaines. Paris
    Galilée Erstausgabe 1746.
  • Darwin, Charles, 1859. On the Origin of Species
    by means of Natural Selection, or the
    Preservation of Favoured Races in the Struggle
    for Life. London (deutsch 1960, Stuttgart).
  • Darwin, Charles, 1872/1969. The Expression of the
    Emotions in Man and Animals. Reprint, Brüssel
    1969 Erstausgabe London 1872.
  • Gould, Stephen Jay, 2002. The Structure of
    Evolutionary Theory, Belknap Press, Cambridge
    (Mass.).
  • Herder, Johann Gottfried, 1770/1966. Abhandlung
    über den Ursprung der Sprache. Stuttgart Reclam.

42
  • Herder, Johann Gottfried, 1784/1966. Ideen zur
    Philosophie der Geschichte der Menschheit,
    Melzer, Darmstadt (Erster Teil, 3. bis 5. Buch).
  • Lincoln, Bruce, 1999. Theorizing myth. Narrative,
    ideology, and scholarship. University of Chicago
    Press, Chicago.
  • Maynard Smith, John und Eörs Szathmary, 1999. The
    Major Transitions in Evolution, Freeman, New
    York.
  • Wildgen, Wolfgang, 2003. Die Repräsentation von
    Mensch, Tier (und Pflanze) und ihres
    Verhältnisses seit der Antike. In Freudenberger,
    Silja Hans Jörg Sand-kühler (Eds.),
    Repräsentation, Krise der Repräsen-tation,
    Paradigmenwechsel. Frankfurt Lang 301-340.
  • Wildgen, Wolfgang, 2004. The Evolution of Human
    Languages. Scenarios, Principles, and Cultural
    Dyna-mics. Benjamins, Amsterdam.
  • Wildgen, Wolfgang, 2006. The Semiotic Hypercycle
    and the Run-Away Process of Linguistic (Symbolic)
    Evolution, Conference Cradle of Language,
    Stellenbosch (RSA), 7.11.2006.
Write a Comment
User Comments (0)
About PowerShow.com