Title: 75 Jahre Schrdingergleichung
175 Jahre Schrödingergleichung
Erwin Schrödinger und die Entdeckung der
Wellenmechanik
Siegmund Brandt Öffentlicher Vortrag, Fachbereich
Physik der Universität Siegen 12. Juni 2001
Zusammenfassung Die Formulierung der
physikalischen Gesetze des Mikrokosmos gehört zu
den größten Leistungen des zwanzigsten
Jahrhunderts. Wenige Monate nach der Schaffung
der Quantenmechanik durch Werner Heisenberg und
ihrer mathematischen Ausformulierung als
Matrizenmechanik durch Max Born, Pascual Jordan
und Heisenberg gelang Erwin Schrödinger ein
völlig anderer Zugang zur physikalischen
Beschreibung der Atome. Aufbauend auf
Vorstellungen von Louis de Broglie ordnete er
Teilchen (im Atom insbesondere den Elektronen)
Welleneigenschaften zu und gab im Jahre 1926 eine
Wellengleichung an, die das Verhalten der
Teilchenwellen beschreibt. Kurz darauf zeigte er,
daß seine Wellenmechanik mathematisch mit der
Matrizenmechanik übereinstimmt. Wegen ihrer
größeren Anschaulichkeit und einfacheren Handhabba
rkeit wird in der Praxis fast nur die
Wellenmechanik benutzt. Der Vortrag erzählt
Schrödingers ereignisreiches Leben und berichtet
über seine Entdeckung im Rahmen der
wissenschaftlichen Entwicklungen der Zeit. Die
jetzt allgemein akzeptierte Deutung der
Schrödingerschen Wellenfunktion im Rahmen von
Wahrscheinlichkeiten wurde von Max Born gegeben.
Schrödinger selbst konnte sich ihr allerdings nie
anschließen.
2Erste Wiener Zeit 18871920
1887 Geboren am 12. August in Wien 1898 Besucht
das Akademische Gymnasium in Wien (war stets
Klassenerster) 1906 Beginn des Studiums der
Physik und Mathematik an der Universität in
Wien, insbesondere der Theoretischen Physik bei
Fritz Hasenöhrl 1910 Promotion mit einer
experimentellen Arbeit (betreut von Egon von
Schweidler) Assistent bei Franz Exner am
Physikalischen Institut der Universität Wien 1914
Habilitation an der Universität Wien 19141918
Soldat 1918 Berufung an die Universität
Tschernowitz scheitert am Zerfall der
Donaumonarchie 1920 Heirat mit Annemarie (Anny)
Bertel
1914
Die hier benutzten Bezeichnungen für die
einzelnen Lebensperioden stammen von Schrödinger
selbst (aus dem kurzen Abschnitt Mein Leben in
seinem Buch Meine Weltansicht, Wien 1961)
3Im Arm seiner Mutter 1888
4Fritz Hasenöhrl
Schrödinger hörte bei Hasenöhrl einen Kurs in
Theoretischer Physik über acht Semester und fünf
Wochenstuden. Er schätzte diese umfassende
Ausbildung lebenslang hoch ein und verehrte
Hasenörhl. Hasenöhrl fiel im Oktober
1915. Hasenöhrl hatte bereits vor Einstein in
einer Arbeit Theorie der Strahlung bewegter
Körper erste Aussagen über die Äquivalenz von
Masse und Energie gemacht.
Fritz Hasenöhrl 18751915
5Dissertation und Promotionsurkunde
6Franz Exner
Exners Arbeitsgebiete waren atmosphärische
Elektrizität, Elektrochemie, Kolorimetrie und
Farbenlehre. Schrödinger hat (später) ausgiebig
auf den Gebieten Farbmessung und Farbempfindung
gearbeitet. Er hatte seine erste bezahlte
Anstellung bei Exner und veranstaltete das
Physikalische Praktikum. Das lehrte ihn wie er
selbst sagte durch direkte Anschauung, was
Messen heißt
Franz Exner 18491926
7Soldat 19141918
Schrödinger war zunächst Offizier der
Festungsartillerie, dann Meteorologe.
Tagebucheintrag 27. Sept. 1915 "Ich
denke es trottelt halt weiter, kannst nix
machen. Scheußlich. Sonderbar ich frage nicht
mehr wann wird der Krieg vorüber sein? sondern
wird er vorübergehen? Kindisch, nicht?
Hoffentlich. Sind 14 Monate so schrecklich
lang? daß man
schon an dem Ende
überhaupt verzweifelt. ...
8Brautpaar Schrödinger 1920
9Erste Wanderzeit 19201927
1920 Assistent bei Max Wien in Jena
a.o. Professor in Stuttgart a.o.
Professor in Breslau 1921 Ordentlicher Professor
für Theoretische Physik an der Universität
Zürich Pflegt enge Kontakte zu seinen Zürcher
Kollegen, insbesondere dem Physiker Pieter Debye
und dem Mathematiker Hermann Weyl. Korrespondiert
mit Einstein, Planck, Sommerfeld, Willy Wien u.
a.
- Arbeiten u.a. zu
- Spezifische Wärme von Festkörpern
- Statistische Mechanik
- Atomphysik und Spektren
- Farbmessung und Farbensehen
- Quantisierung als Eigenwertproblem (die
berühmten Arbeiten zur Wellenmechanik, Zürich
1926)
1927
10Das Plancksche Wirkungsquantum
Quantentheorie bis 1925
1900 Planck findet eine Formel, die das Spektrum
der Wärmestrahlung heißer Körper exakt
beschreibt. Um diese Formel theoretisch zu
erklären, muß er annehmen, daß Wärme- (und
Licht-) Strahlung der Frequenz ? von Materie
nur in Energie-Quanten abgegeben und
aufgenommen wird. Die neue Naturkonstante erhiel
t den Namen Plancksches Wirkungsquantum. Planck
hielt die Quantisierung der Energie für eine
Eigenschaft der Materie (deren Atome er in seiner
Arbeit als Resonatoren bezeichnete), nicht der
Stahlung selbst.
Max Planck (18581947) Nobelpreis 1918
11Einsteins Lichtquantenhypothese und
Relativitätstheorie
1905 Einstein überträgt Plancks Befund der
Energiequantelung der materiellen Resonatoren
auf die elektromagnetische Strahlung und schlägt
schon in seiner ersten Arbeit einen
experimentellen Weg zur Überprüfung der
Lichtquantenhypothese vor Wenn sich nun
monochromatische Strahlung wie ein
diskontinuierliches Medium verhält, welches aus
Energiequanten von der Größe h? besteht, so
liegt es nahe, zu untersuchen, ob auch die
Gesetze von der Erzeugung und Verwandlung des
Lichtes so beschaffen sind, wie wenn das Licht
aus derartigen Energiequanten bestünde. Licht
der Frequenz ? besteht aus einzelnen
Lichtquanten der Energie 1905 Einstein stellt
die spezielle Relativitätstheorie auf. Als
Konsequenz ergibt sich, daß ein ruhendes Teilchen
der Masse m die Energie besitzt.
Albert Einstein (18791955) Nobelpreis 1921
12Bohr-Sommerfeldsches Atommodell
1913 Angeregt durch Rutherfords Entdeckung des
Atomkerns und Einsteins Lichtquantenhypothese
konstruiert Bohr sein Atommodell. Er findet die
Quantelung von Energie und Drehimpuls und
erklärt das Linienspektrum des Wasserstoff-Atoms.
1916 Sommerfeld systematisiert die
Quantenbedingungen für die erlaubten Bahnen eines
Elektrons im Atom. Neben Kreisbahnen sind auch
Ellipsenbahnen erlaubt. Zusätzlich zur
Hauptquantenzahl n führt er zwei weitere
Quantenzahlen ein, die die Exzentrizität und die
Orientierung (Richtungsquantelung) der Ellipse
beschreiben.
Arnold Sommerfeld (18681951)
Niels Bohr (18851962) Nobelpreis 1922
Bei Berücksichtigung der speziellen
Relativitätstheorie kann Sommerfeld sogar die
Feinstruktur des Wasserstoff-Spektrums erklären.
Ellipsenbahnen aus Sommerfelds Lehrbuch Atombau
und Spektrallinien
13De Broglies Materiewellen
1923 De Broglie ordnet nach den beiden
Einsteinschen Formeln nicht nur dem Lichtquant,
sondern auch jedem massebehafteten Teilchen eine
Frequenz und eine Wellenlänge zu. Einem Teilchen
mit Masse m und Geschwindigkeit v, also mit
Impuls pmv, entspricht eine Materiewelle der
Wellenlänge
Prince Louis-Victor de Broglie (18921987)
Nobelpreis 1929
De Broglie kann die Quantenbedingungen des
Bohr-Sommerfeldschen Atommodells erklären, wenn
er annimmt, daß die Materiewelle eines Elektrons
beim Umlauf um den Atomkern einen geschlossenen
Wellenzug bildet (linkes Teilbild).
14HeisenbergBornJordansche Quantenmechanik
1925 Heisenberg gelingt es, durch Umdeutung
der Größen, die ein Teilchen beschreiben, die
Gesetze der Mechanik formal aufrechtzuerhalten
und doch ohne künstliche Quantenbedingungen
auszukommen. Dazu werden die Größen Ort und
Impuls durch Matrizen bzw. ersetzt,
für die besondere Rechenregeln gelten,
insbesondere die Vertauschungsrelation Seine
Theorie wird von Born und Jordan und dann in der
berühmten Dreimännerarbeit von Born, Heisenberg
und Jordan mathematisch als Quantenmechanik
ausformuliert. (Heute heißt diese Formulierung
Matrizenmechanik.)
Werner Heisenberg (19011976) Nobelpreis 1932
Max Born (18821970) Nobelpreis 1954
Noch Ende 1925 gelingt Wolfgang Pauli die
Berechnung des Wasserstoff-Spektrums im Rahmen
der Matrizenmechanik
Pascual Jordan (19021980)
Wolfgang Pauli (19001958) Nobelpreis 1945
15Grundzüge der Heisenbergschen Quantenmechanik
16Die Entdeckung der Wellenmechanik 192526
Schrödinger findet in einer Arbeit von Einstein
einen Hinweis auf de Broglies Materiewellen. Auf
Anregung von Pieter Debye hält Schrödinger einen
Vortrag über de Broglie-Wellen im Zürcher
Kolloquium. Während eines Kur-Aufenthaltes in
Arosa über Weihnachten 1925 und Neujahr 1926
gelingt Schrödinger der Durchbruch zur
Entwicklung der Wellenmechanik Er entdeckt eine
Wellengleichung für Materiewellen, die später so
genannte stationäre Schrödinger-Gleichung. Nach
Zürich zurückgekehrt, berät er sich mit Hermann
Weyl in mathematischen Fragen.
Die Villa Herwig, das Kurhotel in Arosa, in dem
Schrödinger seine stationäre Wellengleichung
entdeckte
- Im Jahr 1926 publiziert Schrödinger 6 Arbeiten
- Quantisierung als Eigenwertproblem I
(Stationäre Schrödinger-Gleichung,
Wasserstoff-Spektrum) - Quantisierung als Eigenwertproblem II
(Herleitung aus Hamilton-Formalismus
(Wellenmechanik)) - Über das Verhältnis der Heisenberg-Born-Jordansch
en Quantenmechanik und der meinen - Quantisierung als Eigenwertproblem III
(Störungsrechnung) - Quantisierung als Eigenwertproblem IV
(Zeitabhängige Schrödinger-Gleichung) - Der stetige Übergang von der Mikro- zur
Makromechanik (Wellenpaket, Teilchenlokalisierung
)
17Pieter Debye
Hermann Weyl
18Die Abhandlungen
19Schrödingers ursprünglicher Weg zur
Wellengleichung für Materiewellen
20Stationäre Schrödinger-Gleichung
Schrödinger versprach sich von seiner ersten
(relativistischen) Gleichung, daß sie das
Wasserstoffspektrum einschließlich Feinstruktur
beschriebe. Erst als das nicht eintrat, benutzte
er die vereinfachte, nichtrelativistische
Form. In der ersten Veröffentlichung gab er einen
verschlungenen Weg zur Motivierung seiner
Gleichung an, den er in der zweiten
Veröffentlichung nicht weiter verfolgte, also
fallen ließ. Anmerkung 1928 entdeckte P. A. M.
Dirac eine verallgemeinerte relativistische
Wellengleichung, die auch den Spin des Elektrons
einschließt und das Wasserstoff-Spektrum
einschließlich Feinstruktur beschreibt. Für
Sommerfeld war es ein Glücksfall, daß seine
Behandlungen mit Quantenbedingungen und ohne Spin
zufällig mit dem Experiment (und Diracs
späteren Rechnungen) übereinstimmte.
21Forts.
22Die Eigenzustände des Elektrons im
Wasserstoffatom (Radialanteil R)
23Winkelanteil Kugelflächenfunktionen
24Dichtefunktion
25Dichtefunktion, Forts.
26Analogien zur Optik
Hamilton, der wohl bedeutendste irische
Wissenschaftler, begann 1824 (als
Neunzehnjähriger) mit einer Reihe von
Veröffentlichungen, die eine enge Analogie, ja
Übereinstimmung zwischen den Gesetzen der
Mechanik und denen der Strahloptik (geometrischen
Optik) aufzeigten. Die geometrische Optik
beschreibt das Verhalten des Lichts, abgesehen
von den Erscheinungen der Interferenz und der
Beugung. Im Rahmen der geometrischen Optik kann
man sich Lichtstrahlen als aus einzelnen Teilchen
bestehend denken, auf die Kräfte wirken, wie es
schon Newton getan hat. Will man allerdings die
Interferenz und die Beugung beschreiben, so muß
man die geometrische Optik zur Wellenoptik
erweitern. Das Licht besteht nicht mehr aus
Teilchen, sondern erhält die Eigenschaft einer
Welle. Schrödinger erweiterte analog zum Übergang
von der geometrischen Optik zur Wellenoptik die
klassiche Mechanik (Teilchenmechanik) zur
Wellenmechanik und erhielt so ein zweites Mal
seine Wellengleichung, die stationäre
Schödingergleichung.
William Rowan Hamilton (18051865)
27Ableitung aus dem Hamilton-Formalismus
28Zusammenhang mit der Matrizenmechanik
29Forts.
30Zeitabhängige Schrödinger-Gleichung
31Reaktionen auf die Anschaulichkeit der
Wellenmechanik
Guido Beck, damals Student in Wien, schreibt
Wir erfuhren im Wiener Institut zum erstem Mal
von der damals neuen Entwicklung der
Quantentheorie durch einen Seminarvortrag von W.
Lenz (Hamburg) über die erste Arbeit von W.
Heisenberg, aber wir verstanden sehr wenig von
dem, um was es damals ging. Als dann, 1926, die
vier grundlegenden Arbeiten von E. Schrödinger
erschienen, atmeten wir erleichtert auf. Mit
Differentialgleichungen umzugehen, war uns
vertraut und wir konnten hoffen, mit Schrödingers
Formalismus arbeiten zu lernen, wenn es sich auch
bald herausstellte, daß Schrödingers erste
Interpretation der Bedeutung der - Funktion
nicht aufrechterhalten werden konnte.
Guido Beck (19031988)
A. E. Haas fragte damals, ob die neuen Wellen der
Mechanik Dauerwellen sein würden. Sie waren es.
Wie damals die Stimmung war, konnte man aus einer
Anekdote sehen, welche damals aus Göttingen kam.
P. Ehrenfest aus Leiden war dort zu Besuch und
hörte einen Seminarvortrag des jungen E. Wigner.
Besonders gefiel ihm, daß Wigner in seinem
Vortrag den Schrödingerschen Formalismus
verwendete. Max Born, einer der drei Autoren der
Matrizenmechanik, meinte, daß das schließlich nur
eine Frage der Gewohnheit sei. Mit Matrizen könne
man dasselbe ebensogut darstellen. Darauf
Ehrenfest Das glaube ich schon, aber es gibt
gute und schlechte Gewohnheiten.
32Wellengruppe (oder Wellenpaket)
Wellenpaket (vorn), zusammengesetzt aus
harmonischen Materiewellen verschiedener
Geschwindigkeit (hinten), dargestellt für zwei
verschiedene Zeitpunkte (oben bzw.
unten). Dargestellt ist der Realteil der
komplexen Wellenfunktion. Die Wellenfunktion
eines Wellenpakets ist nur in bestimmten
Raumbereichen (im Idealfall in einem einzigen
Raumbereich) wesentlich von Null verschieden.
Figur aus Schrödingers letzter Arbeit von 1926
33Wellenpaket im Potential des harmonischen
Oszillators
Das Absolutquadrat der Wellenfunktion hat in
manchen Fällen eine einfache Form. Im Fall der
Bewegung eines Teilchens im Kraftfeld eines
harmonischen Oszillators (Federkraft) kann es die
dargestellte Glockenform haben. Deren Breite kann
sich periodisch mit der Zeit ändern (oben) aber
auch konstant sein (unten). Es ist jedoch nur in
der Nähe des klassischen Teilchens (dargestellt
als kleiner roter Kreis) wesentlich von Null
verschieden. Schrödinger interpretierte es
deshalb als eine Dichte-Verteilung des Teilchens.
34Aufspaltung eines Wellenpakets durch Tunneleffekt
Beim Aufprall auf eine Potentialbarriere wird das
klassische Teilchen reflektiert. Die aus der
Wellenfunktion gebildete Funktion
spaltet sich in zwei Teile, die für große Zeiten
völlig getrennt werden, so daß die Funktion
offenbar nicht die Dichte-Verteilung eines
einzelnen Teilchens sein kann.
35Borns Wahrscheinlichkeits-Interpretation
Max Born (18821970) Nobelpreis 1954
36Born, Fortsetzung
Born erkannte
als Wahrscheinlichkeitsdichte. Die
Wahrscheinlichkeit dafür, ein Teilchen, das durch
eine Wellenfunktion beschrieben wird, in einem
kleinen Volumen zu finden, ist
37Schrödingers Ablehnung der Wahrscheinlichkeits-Int
erpretation
Die Wahrscheinlichkeits-Interpretation stellte
sich immer mehr als die einzige mit dem
Experiment verträgliche heraus. Sie bildet die
Grundlage der Kopenhagener Deutung der
Quantenmechanik, so genannt nach den vielen
Diskussionen im Kreis um Niels Bohr in
Kopenhagen. Manche prominente Physiker lehnten
sie jedoch ab. Born berichtet über einen Brief
Schrödingers vom Herbst 1960 ... aus einem
dieser Briefe Du Maxel, Du weißt, ich hab Dich
lieb und daran kann nichts etwas ändern. Aber ich
habe das Bedürfnis, Dir mal gründlich den Kopf zu
waschen. Also halt her. Und dann kam allerlei
Derbes über die Unverfrorenheit, mit der ich
immer wieder versichere, die Kopenhagener
Auffassung der Quantenmechanik sei allgemein
angenommen, obwohl ich genau wisse, daß Einstein,
Planck, de Broglie, von Laue und er, der Erwin,
davon unbefriedigt waren. Meiner Aufzählung
einiger guter Forscher, die diese Bedenken nicht
teilten, entgegnete er Seit wann wird übrigens
eine wissenschaftliche These durch Mehrheit
entschieden? (Du könntest freilich erwidern
mindestens schon seit Newton). Und so ging es
fort über Seiten. ... Aber sein nächster Brief
beginnt mit den Worten Dank Dir für die
reizende lange Antwort auf den Kopfwasch. Und so
war es immer in den langen Jahren unserer
Korrespondenz eine Mischung von saugrob und
zärtlich schärfster Meinungsaustausch, nie ein
Gefühl des Gekränktseins.
38Lehr- und Lernzeit in Berlin 19271933
1927 Berufung an die Universität Berlin als
Nachfolger von Max Planck 1929 Mitglied der
preußischen Akademie der Wissenschaften 1933
Emigration aus Empörung über den Antisemitismus
der neuen Machthaber
- Arbeiten zur
- Wellenmechanik
- relativistischen Quantenmechanik
- Aufsatz
- Was ist ein Naturgesetz? (Niederschrift der
Zürcher Antrittsvorlesung von 1922)
39Berliner Nobelpreisträger mit Gast
Nernst Einstein
Planck Millikan von Laue
40Schrödinger in Berlin
Vorlesung an der Berliner Universität
Mit Max Planck 1929 bei der Einführung als
Mitglied der preußischen Akademie der
Wissenschaften
41Testate Schrödingers im Studienbuch der Berliner
Studentin ...
42... Maria Brandt, der Mutter des Vortragenden
Maria Brandt mit Sohn Siegmund, Berlin 1936
43Geselliges Leben in Berlin Schrödingers laden
zum Würstlabend
Plancks Antwort Wenn Ihr Euch wirklich nicht
scheut, Einzuladen solch alte Leut, So wird auch
das Ehepaar Planck Bei Euch erscheinen mit vielem
Dank, Denn wir kommen ja so gern In das moderne
Hotel Psi Psi Stern.
44Zweite Wanderzeit 19331939
1933 Emigration aus Deutschland Fellow am
Magdelen College, Oxford (finanziert durch ICI),
vermittelt durch Frederick Lindemann (später
Lord Cherwell und wissenschaftlicher Berater
Winston Churchills). 1936 Professor an der
Universität Graz 1938 Erste Kontakte mit dem
irischen Ministerpräsidenten de Valera. De
Valera, selbst Mathematiker, schätzt Schrödinger
nicht zuletzt wegen dessen Berufung auf die
Arbeiten Hamiltons. Nach dem Anschluß
Österreichs sofortige Entlassung, Flucht
über Rom nach Oxford 193839 Gastprofessor (und
Ehrendoktor) an der Universität Gent,
Belgien 1939 Nach Einmarsch der Wehrmacht in
Belgien Flucht über England nach Irland
In Gent 1939
- Arbeiten u.a. zu
- Quantentheorie
- Feldtheorie
- Supraleitung
45Oxford
Frederick Lindemann
46Nobelpreis
1933 Werner Heisenberg erhält den Nobelpreis für
1932. Erwin Schrödinger und P. A. M. Dirac
erhalten gemeinsam den Preis für 1933
Heisenberg
Diracs Mutter
Heisenbergs Mutter
Dirac
Schrödinger
Annemarie Schrödinger
Gruppenbild mit Damen auf dem Bahnhof in Stockholm
47Das lange Exil 19391956
1939 Vorlesungen am University College
Dublin Eamon de Valera, der Ministerpräsident
Irlands und Mathematiker bringt ein Gesetz ins
irische Parlament zur Gründung des Dublin
Institute for Advanced Studies (DIAS) ein. Sie
wird 1940 beschlossen. 1940 Ehrendoktor der
University of Dublin (Trinity College) und der
National University Senior Professor am
DIAS Walter Heitler (früher Zürich und
Göttingen) wird Junior Professor
Gouverning Board, School of Theoretical Physics,
DIAS
Schrödiger de Valera
- Arbeiten u.a. zu
- Mathematische Physik und Quantenmechanik
- Feldtheorie
- Kosmologie
- Bücher, u.a.
- What is Life?
- Nature and the Greeks
- Science Theory and Man
48Emigranten beim Dublin Colloquium 1943
Paul Ewald Max Born
Walter Heitler Schrödinger
49Was ist Leben?
In diesem aus öffentlichen Vorträgen in Dublin
hervorgegangen Buch untersucht Schrödinger die
Frage Wie lassen sich die Vorgänge in Raum und
Zeit, welche innerhalb der raümlichen Begrenzung
eines lebenden Organismus vor sich gehen, durch
die Physik und die Chemie erklären? Er stützt
sich insbesondere auf eine Arbeit von Timofeéf,
Zimmer und Delbrück (1935) und kommt zu dem
Schluß Wenn die heutige Physik und Chemie diese
Vorgänge offenbar nicht zu erklären vermögen, so
ist das durchaus kein Grund, die Möglichkeit der
Erklärung durch die Wissenschaften zu
bezweifeln. Schrödinger führt den Begriff des
genetischen Codes ein. Obwohl das Buch kein
Beitrag zur Forschung im engeren Sinne war, übte
es großen Einfluß auf junge Wissenschaftler bei
der Wahl ihres eigenen Forschungsgebietes aus, so
auf James Watson, einen der Entdecker der
Doppelhelix. Das Motto des Buches ist ein
Ausspruch von Spinoza Homo liber nulla de re
minus quam de morte cogitat et eius sapientia
non mortis sed vitae meditatio est. Der freie
Mensch bedenkt nichts weniger als den Tod seine
Weisheit liegt im Nachsinnen über das Leben.
50What is Life? - Inhaltsverzeichnis
51Verabschiedung in Irland
52Zweite Wiener Zeit 19561961
1956 Nach seiner Emeritierung in Dublin folgt
Schrödinger einem Ruf auf ein Ordinariat ad
personam an der Universität Wien Antrittsvorlesu
ng über Krise des Atombegriffs. Vorlesungen
über Allgemeine Relativitätstheorie und
Evolution des Universums. 1957 Emeritierung
wie in Österreich üblich mit siebzig Jahren.
Schrödinger liest noch ein weiteres
Ehrenjahr. 1961, 4. Januar Schrödinger stirbt
in Wien. Er wird in Alpbach in Tirol begraben, wo
er sich in den letzten Jahren gern aufgehalten
hat.
Während der Antrittsvorlesung, April 1956
Schrödingers Stimme Aus einem Vortrag von 1952.
Kurzer Ausschnitt über Materie und Kraftfelder
- Letzte Arbeiten
- Must the photon mass be zero?
- Might perhaps energy be a merely statistical
concept?
53Schlußabschnitt des Aufsatzes Mein Leben (1960)
Ein echtes Lebensbild zu schaffen, dazu fehlt
mir die Veranlagung des Erzählers übrigens auch
die Möglichkeit, weil das Fortlassen der
Beziehungen zu Frauen einerseits in meinem Falle
eine große Lücke ergibt, andererseits geboten
erscheint, erstens des Klatsches wegen, zweitens
weil sie kaum genügend interessant sind, drittens
weil in diesen Dingen kein Mensch ganz aufrichtig
und wahrhaftig ist oder auch nur sein darf.
54Aus Max Borns Nachruf auf Erwin Schrödinger
Als Physiker zählt er zweifellos zu den ganz
Großen. Denn wenn auch seine Wellenmechanik auf
dem Werk von Vorläufern basiert, vor allem dem
von William R. Hamilton und Louis de Broglie, so
ist sie doch im höchsten Grade originell und ganz
unabhängig von der Göttinger und Cambridger
Quantenmechanik. Schrödinger fand dann die
richtige Verknüpfung beider Methoden. Aber sein
Verfahren war von Anfang an populär und ist es
geblieben. Sein Name ist wohl der meist zitierte
in physikalischen Veröffentlichungen. Wer von uns
hat nicht die Worte Schrödinger-Gleichung oder
Schrödinger-Funktion ungezählte Male
hingeschrieben? Voraussichtlich werden die
nächsten Generationen dasselbe tun und seinen
Namen lebendig erhalten. Physikalische Blätter
17 (1961) 87
55Literatur
Erwin Schrödinger, Abhandlungen zur
Wellenmechanik, Leipzig 1928 Erwin Schrödinger,
Meine Weltansicht, Wien 1961 Erwin Schrödinger,
Die Wellenmechanik (Dokumente der
Naturwissenschaften, Bd. 3) Stuttgart 1963 Erwin
Schrödinger, Gesammelte Abhandlungen, 4 Bde, Wien
1984 Walter Moore, Schrödinger, Life and Thought,
Cambridge University Press, Cambridge 1989 G.
Kerber, A. Dick, W. Kerber, Dokumente,
Materialien und Bilder zur 100. Wiederkehr des
Geburtstages von Erwin Schrödinger, Wien
1887 Abraham Pais, Inward Bound, Oxford
University Press, Oxford 1986 Friedrich Hund,
Geschichte der Quantentheorie, BI, Mannheim
1967 J. Mehra, H. Rechenberg, The Historical
Development of Quantum Theory, 5 Bände,
Springer, New York 1982 Österr. Zentralbibliothek
für Physik http//www.zbp.univie.ac.at/schroding
er/uebersicht.htm