Title: Nationen
1Nationen
Albert F. Reiterer
- Die politische Organisation der Weltgesellschaft
2Dimensionen sozialen und politischen Verhaltens
Soziale Persönlichkeit Dimensionen Identität
Interesse Wertorientierung (Materielle)
Ansprüche(Orientierung in der Welt) Nutzung der
Welt Politik als Kampf um Kampf
um Hegemonie Ressourcen
3Nationenbau Eine Skizze der Entwicklungslinien
und Kontinuitäten
4Nationenbau als internationaler Prozess.Das
westfälische System
Nationenbau findet statt als Prozess des Aufbaus
eines politischen Weltsystems nach Zentrum und
Peripherien Internationales System
(Westfälisches System) Nationenbildung Nationa
les Projekt nachnationales Verständnis Nation
in der globalisierten Welt Heutige Versuche der
Organisation UNO und UNO-Familie Wie aber
gehen diese selbständigen politischen Einheiten
miteinander um? Braucht es da nicht Regeln, wenn
nicht ständig Anarchie und Gewalt pur herrschen
soll?
5Das internationale System Völkerrecht
Die souveränen Staaten müssen (sollen) sich an
gewisse Regeln des zivilisierten Umgangs
miteinander halten, die vom Naturrecht d. h.
vom allgemeinen Verständnis der Zeit von
Gerechtigkeit und Dezenz vorgegeben sind. Hugo
Grotius 1609 Mare Liberum Hugo Grotius 1625 De
Jure Belli ac Pacis Samuel von Pufendorf 1672 De
jure naturae et gentium Suche nach Gewissheit in
einer säkularisierten Welt von Einzelstaaten,
nach Sicherheit in der Beziehung zwischen
partikularen Souveränitäten Vernunft und
die Übereinstimmung Aller (oder auch nur
Vieler) enthüllt Naturrecht und Naturgesetz
Die menschliche Gattung ist eine Einheit, daher
gibt es ein allgemeines Recht. Europäischer
Suprematismus christliche Offenbarung legt
ebenso Regeln fest wie das Naturrecht Doch
was heißt das souverän?
6Souveränität
Der Staat wird in der frühen Neuzeit zum
autonomen System gegenüber und über der
Gesellschaft Ein Regierungssystem mit einer
Bürokratie beansprucht höchste Gewalt über
Leben und Tod der Untertanen? Jean Bodin
ehemaliger Mönch, dann Rechtsgelehrter und
Bürokrat, 1576 Les six livres de la Republique
(Lateinische Fassung De Republica libri
sex) Staat (la republique, respublica) ist
eine richtige Regierung in voller Souveränität
über mehrere Haushalte sowie das, was ihnen
gemeinsam ist. Bodins Souveränität ist eine
Ideologisierung des Herrschers im frühen
Absolutismus. Problemstellung In der
fortschreitenden Entwicklung konstituiert sich
die Autonomie des politischen Systems. Das
fördert bürgerlichen Emanzipation und
Individualisierung. Herrschaft muss
gerechtfertigt werden (Legitimationsproblematik).
Wie? Jean Bodin sagt einfach Die Bürger (francs
subiects) sind dem Herrscher Gehorsam schuldig.
Warum?
7Legitimität - der Gesellschaftsvertrag
Thomas Hobbes 1651 LeviathanIm Naturzustand
herrscht Krieg Aller gegen Alle (Bellum Omnium
contra Omnes) Das erfordert zum Überleben des
Einzelnen eine Friedensordnung John Locke 1690,
Zwei Abhandlungen über die RegierungWenn die
Herrscher ihre Verpflichtungen nicht einhalten,
gibt es ein Widerstandsrecht Jean-Jacques
Rousseau 1762 Der Gesellschaftsvertragerzeugt
einen Allgemeinwillen Der Naturzustand ist
jene elende Kriegssituation, die wie wir sahen
aus den natürlichen Leidenschaften der Menschen
folgt wenn sie nicht von einer sichtbaren Macht
in Schrecken gehalten und durch Angst vor Strafe
zur Einhaltung ihrer eigenen Abmachungen und zur
Beobachtung der Gesetze der Natur gezungen
werden (Hobbes 1651, Teil 2, Kap. XVII). Es gibt
kein Fehderecht mehr, der Staat hat ein
Gewaltmonopol. Der Gesellschaftsvertrag ist
keine Beschreibung eines wirklichen Geschehens,
sondern ein Denkmodell mit normativem Charakter.
Er baut auf der Idee des autonomen Individuums
auf ein gewaltiger Sprung zu allen
traditionalen (vormodernen) Auffassungen!
8Volkssouveränität Wo aber liegen die Grenzen
des Volks?
Weder Bodin noch die Kontraktualisten beantworten
die Frage nach den richtigen Grenzen. Nach außen
werden Grenzen gezogen durch das politische
Projekt Sprache Religion, Weltanschauung ethnisc
he und nationale Identität Staatsbürgerschaft Wirt
schaftssystem Le desir dêtre ensemble (Ernest
Renan 1882) die alltägliche Entscheidung (un
plebiscite de tous les jours), zusammen zu
bleiben, macht die Nation aus. Nation wird durch
nationale Identität als Trägerin eines
politischen Projekts zur abgegrenzten
Gemeinschaft Die radikale Entscheidung auf das
Scheitern nationaler Projekte ist exit, eine
häufigere wäre voice (Opposition).
9Identität Person und Individuum als Einheit
René Descartes (1596 1650) Cogito, ergo sum
Ich denke, also bin ich. Baruch de Spinoza (1632
1677) Hunderten von Definitionen, Festlegungen
und Aussagen geben ein komplexes System der Welt.
Doch auch er hängt dieses System am einzig
sicheren Ich an die Wirklichkeit der Welt
an. Erikson 1973 Das bewusste Gefühl, eine
persönliche Identität zu besitzen, beruht auf
zwei gleichzeitigen Beobachtungen Der
unmittelbaren Wahrnehmung der eigenen Gleichheit
und Kontinuität in der Zeit, und der damit
verbundenen Wahrnehmung, dass auch andere diese
Gleichheit und Kontinuität erkennen. So ist
Ich-Identität unter diesem subjektiven Aspekt das
Gewahrwerden der Tatsache, dass in den
synthetisierenden Methoden des Ichs eine
Gleichheit und Kontinuierlichkeit herrscht
(18). Menschen, die derselben Volksgruppe
angehören, in derselben geschichtlichen Zeit
leben oder auf dieselbe Art ihr Brot verdienen,
werden auch gemeinsamen Vorstellungen von gut und
böse geleitet. Aus der Wahrnehmung, dass seine
individuelle Weise, Erfahrungen zu verarbeiten
(seine Ich-Synthese), eine erfolgreiche Variante
einer Gruppenidentität ist und im Einklang mit
der Raum-Zeit und dem Lebensplan der Gruppe
steht, muss das heranwachsende Kind ein
belebendes Realitätsgefühl ableiten können. (16
f.)
10Gemeinschaft(lichkeit) versus Gesellschaft(lichkei
t)
DO ut DES o
o o o
o o Soziale-systemi
sche Regulierung
Face-to-face-Gruppe
Mikrogruppe Abstrakte
Großgruppe
11Ethnizität Zugehörigkeit und ihre Mystik
Zur Definition von Ethnizität Benennung Funkti
on genus proximum Soziale Identität als
Integration objektiver Sinnzusammenhang diffe
rentia specifica mechanische Solidarität
als Abgrenzung austauschbare
Perspektive ????? 1. Schar, Haufe 2.
Geschlecht, Volk, Volksstamm, Menschenklasse NT
im Neuen Testament ?? ???? Heiden (Gemoll
Griechisches Wörterbuch 1959) Moderne Ethnizität
ist eine weitgehend abstrakte soziale, oder
kollektive, in aller Regel durch Zuschreibung
erworbene in diesem Sinn angeborene
Identität.die sich auf größere soziale und / oder
politische Einheiten bezieht die Zugehörigkeit
zu ihnen grenzt sie meist an bestimmten, aber
beliebigen Merkmalen ab, wobei zu den
Außenstehenden ein deutlicher sozial-mentaler
Abstand gehalten wird. Ethnizität ist eine
Sinnwelt, über die ein Mensch seine Stellung in
seiner Gesellschaft und deren Situation
wahrnimmt.
12Nationale Identität als Trägerin des Politisches
Projekt Nation
Aus einem Kampflied königstreuer preußischer
Truppen 1848 Das waren Preußen, schwarz und
weiß die Farben Da schnitt ein Ruf ins treue
Herz hineinIhr sollt nicht Preußen mehr, sollt
Deutsche sein. Heil uns, sie wollen nicht mehr
Preußen sein.Schwarz, Roth und Gold glüht nun im
Sonnenlichte,der schwarze Adler sinkt herab
entweiht so treu wird keiner wie die Preußen
sein. In der Berliner Revolution von 1848
standen sich Progressive und Konservativ-Reaktionä
re gegenüber. Sie suchten jeweils nach anderen
politischen Identitäten. Die Reaktionäre in
Berlin, der Hauptstadt Preußens, nannten sich
Preußen. Die Progressiven sprachen von sich als
Deutsche. Die nationalen Identitäten
symbolisierten also verschiedene politische
Programme.
13Nationalismus
Struktur Ideologie Nation Nationalismus
Die Theorie wird zur materiellen Gewalt,
sobald sie die Massen ergreiftMarx Kritik der
Hegelschen Rechtsphilosophie, 1843
14Die Ausgeschlossenen von der NationDie Frauen
Olympe de Gouges stellte der Männerrechtserklärung
schon 1791 eine Erklärung der Frauen- und
Bürgerinnenrechte (Déclaration des Droits de la
Femme et de la Citoyenne) gegenüber. Überall, wo
in der Menschenrechtserklärung "hommes" steht,
setzt Olympe de Gouges "femme" oder "femmes et
hommes" ein, je nach Kontext "La femme naît
libre et demeure égale à l'homme en droits. 1792
Mary Wollstonecraft, A Vindication of the Rights
of Woman In ihrer intellektuell anspruchsvolle
Abhandlung fordertdie britische Autorin
Gleichberechtigung ein. Das Wahlrecht für Frauen
kam überall sehr spät Neuseeland 1893 Finnland
1906 (der Reichstag hatte aber keinerlei
Bedeutung) Sowjet-Russland 1917 Österreich
1918 Deutsches Reich 1918 Großbritannien in
Etappen zwischen 1918 und 1956 Schweiz (auf
Bundesebene) 1971
15Die Ausgeschlossenen von der NationDie
Unterschichten
Dienstboten und Unselbständige überhaupt sind
politisch rechtlos, weil sie ja nicht
unabhängig seien und daher keinen eigenen
Willen hätten. Der Habsburgerstaat als Beispiel
für politische Mitsprache und ihre
Entwicklung 1873 Das direkte Wahlrecht für den
Reichsrat wird eingeführt, doch es gilt ein
10-Gulden-Zensus Nur Menschen mit einer
Steuerleistung von mindestens 10 Gulden dürfen
wählen 1882 Auch Fünf-Gulden-Männer dürfen
wählen Wahlgesetz Cisleithaniens vom 14. Juli
1896 (RGBl 168) Der Zensus wird auf 4 Gulden
Steuerleistung pro Jahr herab gesetzt, eine
allgemeine Kurie, wo alle Männer über 21 Jahre
Wahlrecht hatten, wird eingeführt. Die Zahl der
Wähler verdreifacht sich. Bei der Wahl 1901
bedurfte es für 1 Mandate an Stimmen In der
Handels- und Gewerbekammer 26
WählerGroßgrundbesitzer 64
WählerStädtische Kurie 4.193
WählerLandgemeinden 12.290 WählerAllgemeine
Kurie 69.503 Wähler 1845 Benjamin Disraeli
schreibt den Roman Sybil or The Two Nations
16Die Sprache und die Sprachen
Intellektuelle beginnen früh die Volkssprache zu
nützen und zu reflektieren Dante Aleghieri De
vulgari eloquentia, um 1305 Joachim du Bellay
La défense et illustration de la langue
française, 1549 Auch die Volkssprachen sind für
Kultur und Literatur geeignet und schön .
Die sprachliche Standardisierung, meist als
Übersetzung heiliger Texte, war seit je das
effizienteste Mittel der Sprachplanung. Übersetzu
ng der Bibel in die Volkssprachen der frühen
Neuzeit (zumindest das Neue Testament) 1382
(88) Englisch John Wycliffe und Schüler 1522
(NT) bzw. 1534 (AT) Deutsch Martin Luther 1530
Französisch Jacques Lefèbre dEtaples 1548
Finnisch Mikael Agricola Um 1585 Slowenisch
Jurij Dalmatin
17Volkssprache Nationalsprache
J. G. Herder, Über den Ursprung der Sprache 1772
Es ist die ausgebildete Sprache, welche den
Menschen vom Tier unterscheidet. Doch Sprache
gibt es in der Mehrzahl, es gibt Sprachen! Herder
ist Universalist In so verschiedenen Formen das
Menschengeschlecht auf der Erde erscheint, so
ist's doch überall ein und dieselbe
Menschengattung . (Ideen zur Philosophie der
Geschichte der Menschheit 1780 1790) Der
Marquis de Condorcet (1743 1794), Aktivist der
Französischen Revolution, wollte dagegen eine
Universalsprache aufbauen. Sprache ist
quintessential symbol (J. Fishman) für die
Nation und ihre Einheit. Die Nation wird im 19.
Und 20. Jahrhundert fast überall (Ausnahme
Schweiz) zur Sprachnation. Junge Nationen
glauben daher bis heute, sie müssten unbedingt
eine eigene Sprache haben Aus dem
Serbokroatischen wurde so im letzten Jahrzehnt
das Serbische das Kroatische das
Bosnische, vielleicht bald das
Montenegrinische Bulgarisch unterscheidet sich
politisch von Makedonisch Rumänisch von
Moldawisch Es gab Sprachwiederbelebungen
symbolisch in Irland (Gälisch), erfolgreich in
Israel (Iwrid).
18Kleine und große Vaterländern
Intellektuelle wollen riesige Nationen haben,
nicht lokale Gesellschaften Ernst Moritz Arndt
Was ist des Deutschen Vaterland? (1813, von 1841
stammt ein Zusatz) Was ist des Deutschen
Vaterland? Ists Preussenland ? ists
Schwabenland?Ists, wo am Rhein die Rebe
blüht?Ists, wo am Belt die Möwe zieht?O nein,
nein, nein!Sein Vaterland muß größer seyn. Was
ist des Deutschen Vaterland?Ists Baierland ?
ists Steierland?Ists, wo des Marsen Rind sich
streckt?ists, wo der Märker Eisen reckt?O
nein, nein, nein!Sein Vaterland muß größer seyn.
Was ist das Deutsche Vaterland?So nenne endlich
mir das Land!So weit die deutsche Zunge
klingtUnd Gott im Himmel Lieder singt,Das soll
es seyn!Das, wackrer Deutscher, nenne dein. Das
ist das Deutsche Vaterland,Wo Eide schwört der
Druck der Hand,Wo Treue hell vom Auge blitztUnd
Liebe warm im Herzen sitzt,Das soll es seyn
!Das, wackrer Deutscher, nenne dein. Das ist
das Deutsche Vaterland,Wo Zorn vertilgt den
wälschen Tand,Wo jeder Franzmann heißet
Feind,Wo jeder Deutsche heißet Freund,Das soll
es seyn !Das ganze Deutschland soll es seyn!
19Chauvinismus Auserwählung Außenfeind
Somit ist unsre nächste Aufgabe, den
unterscheidenden Grundzug des Deutschen vor den
andern Völkern germanischer Abkunft zu finden,
gelöst. Die Verschiedenheit ist sogleich bei der
ersten Trennung des gemeinschaftlichen Stamms
entstanden, und besteht darin, daß der Deutsche
eine bis zu ihrem ersten Ausströmen aus der
Naturkraft lebendige Sprache redet, die übrigen
germanischen Stämme eine nur auf der Oberfläche
sich regende, in der Wurzel aber todte
Sprache. Naturgemäßheit von deutscher Seite,
Willkürlichkeit und Künstelei von der Seite des
Auslandes sind die Grundunterschiede. ... Alle
die Uebel, an denen wir jetzt zu Grunde gegangen,
sind ausländischen Ursprungs . Der ertödtende
Geist des Auslands, die ständige Ausländerei
ist die Wurzel allen Übels. Johann Gottlieb
Fichte 1808 Reden an die Deutsche
Nation Integraler Nationalismus existierte
jedoch in allen europäischen Nationen Frankreich
Maurice Barrès (1862 1923) und Charles Maurras
(1868 1952) Italien Giovanni Pascoli (1855
1912) und Enrico Corradini (1865
1931) Griechenland Ion Dragoumis (1878 1920)
und Athanasios Souliotis-Nikolaides (1878)
Norwegen Knut Hamsun (1859 1952) Usw.
20Nationale Homogenisierung ethnische Säuberung
... und nach der ethnischen Säuberung durch
dietürkischen Truppen 1974
Zyprern vorr...
21Nationenbau ein Zentralisierungsprozess
Nationenbau ist auch ein Zentralisierungsprozess
bisher unverbundener lokaler und regionaler
Kleingesellschaften, in politischer wie in
sozialer Hinsicht. "Eine ungeheure Zentralgewalt
hat in ihre Einheit alle Bestandteile von
Einfluss und Autorität an sich gezogen und
verschlungen... Nicht nur die Provinzen gleichen
einander mehr und mehr, sondern es werden auch in
jeder Provinz die Menschen der verschiedenen
Klassen, zumindest alle diejenigen, die außerhalb
der Masse des Volkes stehen, trotz aller
Standesunterschiede einander immer ähnlicher...
Durch die noch vorhandenen Verschiedenheiten
schimmert die Einheit der Nation hindurch die
Gleichförmigkeit der Gesetzgebung lässt dies
erkennen" (Tocqueville 1978 1861, 25 und 87).
"Es leuchtet ein, dass die Zentralisierung der
Regierung eine gewaltige Macht erhält, wenn sie
sich mit der Verwaltungszentralisierung
verbindet. Solcherweise gewöhnt sie die Menschen
daran, von ihrem Willen vollkommen und beständig
abzusehen nicht nur einmal und in einem Punkt,
sondern durchwegs und täglich zu gehorchen... Sie
gibt sie der Vereinzelung preis und bemächtigt
sich daraufhin jedes Einzelnen in der allgemeinen
Masse. Diese beiden Arten der Zentralisierung
der Regierung und der Verwaltung stützen sich
wechselseitig, sie ziehen sich gegenseitig an
aber ich kann nicht glauben, daß sie untrennbar
sind." (Tocqueville 1978 1861, 98 f.)
22Postnation Ziel oder Illusion?
Tod der Nation? Die liberale Schule will zuerst
Assimilation der Unterentwickelten (J. St.
Mill), dann eine universelle Gesellschaft, denn
sie ist gegen Partikularismus. Der Marxismus
stellt die Klassenidentität über die nationale
Identität. Die neuere politische Theorie
schließlich konstatiert ein Kongruenzproblem Die
Reichweite des nationalen Staats fällt nicht mehr
mit der Regelungsnotwendigkeit für soziale und
politische Probleme zusammen es bedarf daher
supranationaler Institutionen (Zürn). Problem
Kann ein Staat, auch ein supranationaler, für
seine Legitimität, Kohäsion und seine
Umverteilungsprozesse auf den gemeinschaftlichen
Aspekt verzichten? Politische Identitäten sind
auch in Westeuropa (EU) noch? vorrangig
national bestimmt Nationale und europäische
Identität EU-15, 2003 (Eurobarometer) In der
Nahen Zukunft, sehen Sie sich da ... (in
) Gesamt ... nur als (Nationalität) 40 ...
als (Nationalität) und als Europäer/in 45 ...
als Europäer/in und als (Nationalität) 8 ...
nur als Europäer/in 4 weiß nicht
3 Zusammen 100
23Eine vornationale Struktur Das Osmanische Reich
Hintergrund des Prozesses war der Abstieg des
Osmanischen Reichs. Das Osmanische Reich war
keine Nation. Aber es kannte ethnisch-religiöse
Strukturen mit Selbstverwaltung (milet). Der
miletbasi / Ethnarch der Orthodoxen Christen war
der Patriarch von Konstantinopel / Istambul.
24Polen gescheiterter Staatsaufbau
später Nationenbau
Ein mittelalterliches Reich von Mieszko (10.
Jh.) bis zu Ladislaus Wasa (17. Jh.) Die Goldene
Freiheit des 17. Und 18. Jahrhundert ist
Adelsanarchie und führt zu den Teilungen 1772,
1793 und 1795 zwischen Russland, Preußen und
Habsburg. Im 19. Jahrhundert entsteht eine
polnische Nation im Protest gegen Russland und
Preußen in einer kleinen Gruppe von
Intellektuellen Until the very end of the
19th century, the Polish question concerned
only a minority of those we might categorize as
Polish, with few peasants demonstrating any
interest in independence (Porter, zit. in Auer
2004). Die erste polnische Republik (von
polnischen Historikern als zweite Republik
bezeichnet) von 1918 bis 1938 scheiterte in der
pseudofaschistischen Militärdiktatur des Jozef
Pilsudski, lang bevor die Nazis das Land
überfielen und in Besitz nahmen. Die zweite
polnische Republik (1952 Volksrepublik Polen)
begann ihre Existenz 1945 in Abhängigkeit von den
Sowjets, die jedoch im Land keine große
Unterstützung hatten eine Existenz in
Abhängigkeit. Die dritte polnische Republik begab
sich selbst in Abhängigkeit, und zwar in eine
potentiell konfliktreiche, nämlich einerseits der
USA (in der NATO) und andererseits der EU.
25Zentrum und Peripherie Das neue Weltsystem
Westeuropa Mittel-, Nordeuropa europäisierte
Außenposten Osteuropa Lateinamerika Ara
bische Welt China Indien Afrika Zeit
zonen ist ein metaphorischer Ausdruck Ernest
Gellners, welcher die langsame Verbreitung des
politischen Modells Nation und ihren Ausbau
sinnfällig machen soll
26Großbritannien Die erste bürgerliche Nation
Das feudale England verleibt sich schon im
12./13. Jh. Wales ein, erobert dann Irland und
verein-nahmt schließlich, endgültig 1706,
Schottland. So entsteht im 18. Jahrhundert, eine
anglobritische Nation aus einer Koalition von
aristokratischem Landbesitz sowie der Handels-
und Industriebourgeoisie.
Im 19. Jh. wird England Zentrum des
Weltsystems. Das 20. Jahrhundert bringt den
schnellen Abstieg der parassitären Macht. In der
Gegenwart existiert die britische Nation aus der
historischen Erinnerung sowie als europäischer
Lakai der USA.
27Der deutsche Sprachraum Ein Gegenprojekt zur
Moderne verkleidet sich als Nation
Modernisierung im revolutionären Frankreich
Reaktion in Preußen und im Habsburgerreich
Koalitionskriege (Freiheitskriege) 1792 bis
1814 Die siegreiche Heilige Allianz gestaltet
Europa bis 1848 Zwei konkurrierende Projekte in
Mitteleuropa Deutsche Republik
Preußen-Deutschland 1848 / 1849 Die Deutsche
Republik steht auf und geht unter 1866 1871
Preußen-Deutschland wird kontinentaler
Hegemon 1914 1918 Preußen-Deutschland will die
Weltherrschaft und bricht zusammen. Doch die
alten Eliten bleiben weiter dominant Das Reich
zerfiel, die Reichen blieben. 1933 1945
Nazi-Deutschland stilisiert sich zur
Fundamentalalternative zur sozialen Moderne 1945
1991 Wieder konkurrieren zwei Paradigmen Die
BRD geht siegreich aus der System-Konkurrenz
hervor und wird so zur Deutschen Nation. Die
Alternative DDR scheitert und verschwindet
weitgehend diskreditiert. Gegenwart Die Berliner
Republik wird (wieder) zum Nationalstaat mit
einem Mittelmachtkomplex.
28Frankreich Nation als Folge von politischen
Projekten
1789 1795 Franzose ist jeder (Maskulinum!),
der die Revolution als politischen Entwurf
mitträgt, er mag kommen, woher er will,
zumindest, solange er weiß ist. Doch Der loyale
Franzose spricht Pariser Französisch, nicht etwa
Bretonisch u. dgl. 1799 1812 Die Grande Nation
lebt mit Napoleon aus ihrem (militärischen)
Erfolg Ende des 19. Jahrhunderts sind zwei
Nations-Konzepte im Widerstreit Ernest Renan
1882 La nation est une plebiscite de tous les
jours Maurice Barrès Le culte de moilâme
de la terre Autoritarismus Es ist eindeutig
Barrès, der die Oberhand behält und den Ton
angibt 1914, 1938, 1944 Vive la France! Doch
dazwischen liegt 1941 1944 Marschall Petain
und sein Vichy 1945 1958 Ein gewöhnliches
Frankreich verliert den Großmachtstatus 1958
1979 De Gaulles Frankreich entsteht aus einem
Staatsstreich und formiert sich zum legalen
autoritären Nationsprojekt, das mit Gesten der
Eigenständigkeit erneut die Grande Nation
fingiert. 1980 ff. Frankreich normalisiert
sich Gegenwart Die Franzosen zwischen Nation und
Postnation
29Die USA Nation als Gegenentwurf zu Europa der
Vertragsstaat
When in the Course of human events, it becomes
necessary for one people to dissolve the
political bands which have connected them with
another, and to assume among the powers of the
earth, the separate and equal station to which
the Laws of Nature and of Nature's God entitle
them, a decent respect to the opinions of mankind
requires that they should declare the causes
which impel them to the separation. .... These
United Colonies are, and of Right ought to be
Free and Independent States they are absolved
from all Allegiance to the British Crown, and all
political connection between them and the State
of Great Britain, is and ought to be totally
dissolved ...
30Nationale und ethnische Minderheiten Was heißt
nationale Homogenität?
Macht Ohnmacht Mehrzahl MEHRHEIT UNTERWORFE
NE Minderzahl ELITE MINDERHEIT Auch
Mehrheitsentscheidung bedeutet Herrschaft und
muss folglich legitimiert sein. Die Existenz von
Minderheiten stellt demokratische Legitimität in
Frage. Macht bedeutet jede Chance, innerhalb
einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch
gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel
worauf diese Chance beruht. ... Herrschaft soll
heißen die Chance, für einen Befehl bestimmten
Inhaltes bei angebbaren Personen Gehorsam zu
finden.(Weber 1976, 28).
31Nordeuropa zwischen erster und dritter
Zeitzone Schweden Dänemark Norwegen
Finnland
Schweden-Dänemark ein frühneuzeitliches
Großreich, die Kalmarer Union (1397 1523),
wandelt sich zwei Nationen enstehen 1523 wird
Schweden unabhängig und entwickelt sich im 17.
Jahrhundert zur Großmacht Im Dauerkrieg gegen
Russland steigt es wider zum nun friedlichen
Kleinsaat ab. 1809 1815 Finnland, nämlich die
schwedischen Ostgebiete wird zaristisches
Großherzogtum und entwickelt im 19. Jahrhundert
eine eigene, schließlich finnische
Identität Dänemark verliert 1814 Norwegen an die
schwedische Krone und wird zum Kleinstaat Norwegen
wird zuerst zur schwedischen Peripherie und
entwickelt dabei eine eigene nationale Identität.
1905 wird das Land mit britischem Wohlwollen
unabhängig. Schweden konzentriert sich im 19.
Jahrhundert langsam auf sich selbst, entdeckt
dabei die Vorteile des vergleichsweise Kleinen
(im regionalen Zusammenhangjedoch Hegemons) und
steigt dabei zum sozialen und wirtschaftlichen
Musterland Europas auf. Dänemark, Finnland und
Schweden ordnen sich der EG / EU unter. Norwegens
Bevölkerung wählt gegen den Willen der eigenen
politischen Klasse die Selbständigkeit und
bezahlt dafür allerdings einen erheblichen Preis
in Form von der EU erzwungenen Transfers.
32Die Dritte Zeitzone Lateinamerika der Balkan
Der Balkan war die erste Großregion in Europa, in
der kleine Nationen nach nationaler
Selbstbestimmung suchten und Staaten gründeten.
Etwas vorher ging ein ähnlicher Prozess in
Lateinamerika vor sich. Balkanisierung wurde
zum Schimpfwort, vergleichbar dem heutigen
englischen tribalism. Die Großmächte und ihre
Ideologen können und konnten in der nationalen
Selbstbestimmung kleiner Nationen nur Rückschritt
erkennen. Todorovna Die Erfindung des Balkan
war ein Akt der Abwertung nichtwestlicher
Nationen. Lateinamerika löste sich vom Beginn
des 19. Jahrhunderts, unterstützt von britischen
Handelsinteressen, von Spanien und Portugal. Die
Idee einer einzigen kolumbianischen Nation
scheiterte schnell. Simón Bolívar, 24. Juli 1783
Caracas 17. Dez. 1830 Santa Marta (Kolumbien)
El Libertador wollte die Einheit des ehemaligen
Spanisch-Südamerika erhalten. Noch vor seinem Tod
zerfiel Großkolumbien, das ohnehin nur aus Peru
und Venezuela bestand.
33Die erste kleine Nation des Balkans
Griechenland Westeuropa erfindet eine Nation
1814 In Athen und Odessa werden Geheimbünde
(Filiki Etiria) gegründet und organisieren
Aufstände gegen die Osmanen. Sie hoffen auf
russische und britische Unterstützung. 1822 Der
Nationalkongress in Epidauros proklamiert die
griechische Unabhängigkeit. Philhellenen im
Ausland feiern diese Proklamation. Insbesondere
Lord Byron wird dabei zur Symbolgestalt. 1826
wird die vernichtende griechische Niederlage bei
Misolunghi zum entscheidenden politischen Sieg
für die Aufständischen. Die westeuropäischen
Mächte Frankreich und Großbritannien greifen
gegen die Massaker ein. 1827 Sie schlagen die
ägyptisch-türkische Flotte bei Navarino
vernichtend. 1830 Der unabhängige griechische
Staat wird auf der Londoner Konferenz
anerkannt. 1832 Otto I., Sohn König Ludwig I. von
Bayern, wird zum König von Griechenland
gemacht 14. Jänner 1844 Rede des Ioannis
Kolettis in der Nationalversammlung Megali
idhea Die Grundidee eines expansiven
griechischen Nationalismus will Istambul wieder
als Hauptstadt. Der griechische Universalismus
ist ein besonders weit gedehnter
Herrschaftsanspruch. Die griechische Verfassung
wird verabschiedet. Bis zum Ersten Weltkrieg
dehnt Hellas sein Gebiet ständig aus. Greece
emerged from the Ottoman empire not as a Western
nation with a long history but as a commercial
class and a provincial peasantry in a Middle
Eastern scheme of society (A. Toynbee, zit. in
Spiliotis 1998, 67). - Ständige Aggressionen
gegen die Pforte 1912 Im 1. Balkankrieg gewinnt
das Bündnis Serbien, Bulgarien, Griechenland,
Montenegro gegen die Pforte. Diese soll im
Londoner Frieden 1913 alle ägäischen Inseln
abgeben. 1924 Nach einer vernichtenden
Niederlage griechischer Truppen in Kleinasien
wird der Vertrag von Lausanne geschlossen und ein
Bevölkerungsaustausch, d. h. gegenseitige
Vertreibung von Griechen und Türken
vereinbart. 1936 General Metaxas bildet durch
einem Staatsstreich eine faschistische Regierung
(Regme des 1. August). 1941 Das Deutsche Reich
erobert Griechenland. Georg II. flieht nach
London und gründet eine Exilregierung. 1967 Die
Armee putscht. General Papadopoulos wird
Ministerpräsident. Die Obristenjunta bricht 1974
zusammen 1981 Griechenland wird Mitglied der
Europäischen Gemeinschaft
34Serbien, BulgarienHistorische Ethnonationen
gegen die Türken
1804 Befreiungskrieg der Serben des Georg
Petrovic, genannt Karadjordje, gegen die
Türken1817 Serbien unter Miloš Obrenovic
autonom, d. h. quasi-selbständig1878 Serbien
wird vom Berliner Kongress als unabhängig
anerkannt .1914 1918 Als Sieger im Ersten
Weltkrieg kann Serbien die Kroaten und die
Slowenen vom Sinn eines gemeinsamen Staats
überzeugen Jugoslawien entsteht. 1876 Der
Aprilaufstand der Bulgaren wird von den Osmanen
blutig nieder geschlagen 1878 Berliner Kongress
Ein Teil Bulgariens ist unabhängig, der andere
untersteht völkerrechtlich weiterhin dem Sultan,
wird aber 1885 von Zar Alexander II. an Bulgarien
angeschlossen.1912 1913 Bulgarien besiegt in
einer Koalition mit Griechenland, Serbien und
Montenegro die Osmanen (Erster Balkankrieg). Bei
der Aufteilung der Beute kommt es zum Streit. Im
Zweiten Balkankrieg wird Bulgarien von seinen
bisherigen Verbündeten geschlagen. 1914 1918
Bulgarien schließt sich den Mittelmächten
(Deutsches Reich, Habsburgerstaat) und gehört zu
den Verlieren. Im Vertrag von Neuilly verliert es
Gebiete und muss hohe Reparationen auf sich
nehmen.
35Rumänien und die Erfindung einer langen Tradition
in Abhängigkeit
1861 Einigung der Donaufürstentümer Moldau
(Hauptstadt Iasi) und Walachei (Hauptstadt
Bukuresti) unter Alexandru Ioan Cuza 1878 Auf dem
Berliner Kongress unter Auflagen Bürgerrechte
auch für Juden unabhängig. 1881 Karl von
Hohenzollern erklärt sich zum König 1914 1918
Im Ersten Weltkrieg erleiden rumänische Truppen
zwar eine schwere Niederlage. Doch sie stehen auf
Seite der Sieger. 1918/19 können sie also ihr
Ziel Großrumänien (mit dem Anschluss von
Siebenbürgen, der Bukowina und der Moldau)
durchsetzen. Jene Deutung, wonach alle soziale
Unruhe im Europa der Zwischenkriegszeit vom
Versailler Vertrag ausgegangen sei, geht für
Rumänien fehl (Heinen 1986, 40) Vor dem Zweiten
Weltkrieg entwickelt das Land mit der Legion
Erzengel Michael bzw. der Eisernen Garde
seinen eigenen Faschismus. Nach dem Zweiten
Weltkrieg kommt das Land unter sowjetischen
Einfluss. In einem zähen Bemühen kann es sich
wesentlich mehr Handlungsfreiheit erringen als
die anderen Sowjetsatteliten. 1989 Als einziges
Land der sowjetischen Einflusszone erlebt
Rumänien eine Art Revolution. Der Staats- und
Parteichef wird in einem Kurzprozess zum Tode
verurteilt und, mit seiner Frau zusammen,
erschossen.
36Der Berliner Kongress Das europäische Konzert
der Großmächte
Das internationale System Europas war auch im 19.
Jahrhundert zwischenstaatlich stark
reguliert Der Berliner Kongress war eine
Konferenz zwischen Vertretern des Deutschen
Reiches, Russlands, Österreich-Ungarns,
Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und des
Osmanischen Reiches vom 13. Juni bis 13. Juli
1878 in Berlin. Der habsburgische Außenminister
Gyula Andrássy ergriff nach den Wirren am Balkan
die Initiative und lud die europäischen
Großmächte zu einer Konferenz. Den Vorsitz führte
der deutsche Reichskanzlers Otto von
Bismarck. Der Kongress ersetzte die in San
Stefano festgesetzten Beschlüsse durch die
Berliner Kongressakte. Bismarck gelang es als
ehrlichem Makler, von Russland Zugeständnisse
zu erhalten (Berliner Frieden vom 13. Juli 1878).
Serbien, Rumänien und Montenegro erlangten ihre
Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich. Das Gebiet,
das ihnen im Vertrag von San Stefano zugesichert
worden war, wurde jedoch erheblich verkleinert.
Bulgarien wurde in ein autonomes Fürstentum im
Norden und eine osmanische Provinz geteilt. Neben
den armenischen Gebieten Batum und Kars erhielt
Russland das rumänische Bessarabien (Moldau). Als
Ausgleich wurde Rumänien das türkische
Territorium des südlichen Dobrudscha
zugesprochen. Die beiden osmanischen Provinzen
Bosnien und Herzegowina wurden Österreich-Ungarn,
Zypern der britischer Verwaltung unterstellt.
37Der Erste Weltkrieg Imperialismus als
Nationalismus
Der Erste Weltkrieg ist nicht aus nationalen
Konflikten entstanden, wie häufig behauptet
wird. Er entstand aus der Konkurrenz zweier
Gruppen von Mächte um Märkte und
Herrschaft. Co-existent empires following each
its imperial career of territorial and industrial
aggrandisement are natural necessary enemies (J.
A. Hobson, Imperialism, 1902) Der Kapitalismus
ist zu einem Weltsystem kolonialer Unterdrückung
und finanzieller Erdrosselung der übergroßen
Mehrheit der Bevölkerung der Erde durch eine
Handvoll fortgeschrittener Länder geworden, ...
Die die ganze Welt in ihren Krieg um die Teilung
ihrer Beute mit hineinreißen (Lenin,
Imperialismus 1916/17 Werke 22, 195) Die
Ideologie des Imperialismus .... blickt auf das
Gemenge der Völker und erblickt über ihnen allen
die eigene Nation ... Die nationale Idee ist
als Triebkraft in den Dienst der Politik
gestellt (Rudolf Hilferding, Finanzkapital,
1910, 458 f.).
38Europa in der ZwischenkriegszeitKleine
Nationen werden selbständig
Die übernationalen Gebilde werden durch ihre
Niederlage im Weltkrieg zerschlagenHabsburgersta
at, Zarenreich, Osmanisches Reich. Es entsteht
eine größere Anzahl von Kleinstaaten, welche
nationale HomogenitätW anstreben und dazu
zugespitzt nationalistische Politik
betreiben Finnland, die Baltischen Staaten,
Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, ... (in
Westeuropa übrigens auch Irland. Im Lauf von
ökonomischen Krisen übernehmen in den meisten
dieser Staaten (Ausnahme Tschechoslowakei,
Finnland) durch Staatsstreiche und ähnliche
Mittel faschistische Parteien und Diktatoren die
Macht. Der Völkerbund (League of Nations) löste
das Europäische Konzert ab und sollte eine
weltweite Friedensordnung garantieren. Er war
zwar vom US-Präsident Wilson initiiert worden,
doch aus kleinlichen innenpolitischen Motiven
verhinderte der Kongress schließlich den Beitritt
der USA. Als eine Reihe von Staaten faschistisch
wurden und Angriffskriege zu führen begannen,
traten sie aus dem Völkerbund aus (Italien,
Japan, Deutsches Reich).
39Eine vierte Zeitzone Die Dritte Welt
16. bis 18. Jh. Europäische Mächte suchen nach
Schätzen im Rest der Welt und finanzieren ihren
so Luxusbedarf die Entwicklung von
Unterentwicklung beginnt und führt zur Aufteilung
der Welt Vertrag von Tordesillas 1494 (Spanien
und Portugal lassen sich vom Papst die Welt
teilen) Usw. 19. Jh., zweite Hälfte
Imperialismen teilen sich die Welt neu auf
Widerstand Kleine Elitengruppen
führen in der arabischen Welt, Indien, China und
schließlich auch im subsaharischen Afrika einen
von der europäischen Politik abgeleiteten
Diskurs Modernisierung, Nationenbau und
Nationalismus, Entwicklung heißt das
Thema. Nationale Befreiungsfronten vom
Indischen Nationalkongress über die algerische
FLN (Front de Liberation Nationale) bis zur
vietnamesischen FLN setzen auf europäische
Modelle und indigenes Engagement .
40Die Türkei Kemalismus als Nationenbau von
obenNationalismus als abgeleiteter Diskurs
Mustafa Kemal Atatürk (1881 1938), General,
nationalistischer Führer, führte den Widerstand
gegen den Vertrag von Sévres, erster Präsident
der Republik Türkei (1923 1938). Den Namen
Atatürk (Vater der Türken) nahm er 1934 an.
Die sechs Prinzipien des Kemalismus
NationalismusLaizismus Der Islam darf keine
politische Rolle mehr spielenRepublikanismusPopu
lismus Mobilisierung der Massen,
Revolutionismus gewaltsame wie gewaltfreie
gesellschaftliche Umgestaltung Etatismus Der
Staat gibt ein politisches Entwicklungsprogramm
vor und setzt es durch
41Arabische Nation?
Karte arabophone Welt
42China Kulturkreis oder Nation?
Karte China mit Provinzgrenzen
43Indien Religiöser oder nationaler Kommunalismus?
Karte Südasien
44Die Erfindung neuer Nationen und alter
Traditionen Ghana, Mali, Zimbabwe
45Die Sowjetunion bis 1989 Ein a-nationaler Ansatz
Sowjetunion (UdSSR) 15 Unionsrepubliken RSFSR
(Russische Sozialistische Föderative
Sowjetrepublik)Ukraine, Weißrussland, Estland,
Lettland, Litauen, Moldau Kasachstan, Turmenien,
Usbekistan, Kirgisien, Tadjikistan Armenien,
Georgien, Aserbaidjan. Darin inkorporiert, der
Großteil in der FSFSR 20 Autonome
Sozialistische Republiken (16 davon in der RSFSR,
eine in Usbekistan, 2 in Georgien und eine in
Aserbaidjan) weiters 8 Autonome Gebiete und
10 Autonomen Bezirken. Art. 72 der
(Breschniewistischen) Verfassung von 1977
stipuliert ein SezessionsrechtJeder
Unionsrepublik bleibt das Recht auf freien
Austritt aus der UdSSR gewahrt. Dieses
theoretische Recht erscheint bereits in der
Verfassung von 1924, mit welcher die Sowjetunion
als föderale Struktur begründet wurde, und auch
in der Stalinschen Verfassung von 1936.
46Jugoslawien 1945 1990Kompromiss zwischen
a-nationalem Programm und nationalen Ambitionen
47Europa nach 1945 Spaltung und globale Lager
drängen nationale Politik in den Hintergrund
4. 11. Februar 1945 Yalta Die Sieger des
Weltkriegs teilen Europa und tendenziell die Welt
in Einflusssphären auf nationale Konkurrenz
wird zur Störung des Weltsystems Die meisten der
Staaten aus der Zwischenkriegszeit (Ausnahme Die
Baltischen Länder) entstehen wieder. Doch sie
sind nunmehr in die Systemkonkurrenz
eingebunden. Ihre Politik wird bestimmt von den
globalen Hegemonialmächten, der Supermächten.
Das System der UNO mit der zentralen Institution
Vereinte Nationen und vielen Fachorganisationen,
die organisatorisch selbständig sind (UNESCO,
UNIDO, FAO, ILO, ...) löst den Völkerbund ab und
wird zum Ausdruck des internationalen Systems.
48EWG / EG / EU Regionale Integration
postnationale Struktur
9. Mai 1950 Schuman-Plan Die Blaupause für die
EGKS und die EWG allgemeiner 1952 EGKS
(Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl
Montanunion 25. März 1957 Römer Verträge Die
EWG startet mit 6 Mitgliedern Anfang 1958 1986
Einheitliche Europäische Akte (einheitlicher
Binnenmarkt) 1991 Maastrichter Vertrag legt die
Einrichtung der Europäischen Union mit 1. Nov.
1993 fest 1998 Vertrag von Nizza 2003
Europäischer Verfassungsvertrag entworfen
49Europa nach 1989
50Symbolische Nationalität Die Zukunft der
Nationen?
Gans 1985 Da die strukturellen Funktionen von
ethnischen Kulturen und Gruppen an Bedeutung
abnehmen und Identität die hauptsächliche Weise
ist, in der man ethnisch ist, bekommt
Ethnizität eher eine expressive als eine
instrumentale Funktion im Leben der Menschen,
wird so mehr und mehr zu einer Freizeit-Aktivität
und verliert an Relevanz z. B. für die
Regulierung des Familienlebens oder den
Lebensunterhalt. Expressives Verhalten kann viele
Formen annehmen es beinhaltet meist auch die
Nutzung von Symbolen eher als Zeichen denn als
verhaltensleitenden Mythen Wird in analoger
Weise die europäische Nation zur
Verwaltungseinheit ohne Integrationskraft? Nation
ale Identität war in Europa bisher Voraussetzung
für Integration, für demokratische
Selbstbestimmung, und für politisch konsensfähige
Umverteilung in einer Sicherheits- und
Wohlfahrtsvergemeinschaftung (fast) Aller. Bisher
ist keine supranationale Struktur erkennbar, die
dies auch schaffen könnte.
51Literatur in Auswahl
Aus der Fülle der Literatur werden hier nur
wenige analytische Beiträge angeführt. Da
Nationalismus eine Intellektuellenbewegung war,
sind wesentliche Texte aus dem 19. und 20.
Jahrhundert als Zeugnisse angeführt. Aus
Dokumentationsgründen ist es schließlich nötig,
einige in den Präsentationen erwähnte Werke
anzuführen, auch wenn diese nicht als erstrangig
bedeutsam zu betrachten sind.