Title: Warum ist nachhaltige Entwicklung so schwierig? Versuch einer human
1Warum ist nachhaltige Entwicklung so
schwierig?Versuch einer humanökologischen
Erklärung
Peter Weichhart Institut für Geographie und
Regionalforschung der Universität Wien
Homo oecologicus Wie ist ein Menschenbild für
die nachhaltige Entwicklung wissenschaftlich
möglich? Perspektiven der Humanökologie. Wien, 3.
12. 2010
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2Menschenbilder
Die zentrale Frage dieser Tagung lautet
Wie müsste/sollte ein Menschenbild aussehen, auf
dessen Grundlage eine (globale) nach- haltige
Entwicklung möglich wird?
Die Frage impliziert, dass die Entwicklung der
Welt- gesellschaft und die Struktur der
Mensch-Umwelt- Beziehungen entscheidend vom
Handeln und den Wertesystemen der einzelnen
Subjekte/Akteure abhängt.
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3Die Problemstellung aus der Perspektive der
Humanökologie
Wie können wir auf der Grundlage
humanöko- logischer Erkenntnisse ein
(normatives) Menschenbild entwickeln, das
geeignet er- scheint, das Ziel einer nachhaltigen
(globalen) Entwicklung sicherzustellen?
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4homo sustinens?
Welche menschlichen Fähigkeiten und
Eigenschaften werden für die praktische Umsetzung
des Nachhaltigkeits- konzepts benötigt? Welchen
Beitrag können bestehende Menschenbilder in der
Ökonomik für die Beschreibung, Erklärung und
zukunftsfähige Gestaltung der relevanten Handlungs
bereiche leisten? Inwiefern können
Handlungs- theorien aus anderen Disziplinen
hilfreich sein, entspre- chende
Handlungspotentiale und Gestaltungsmöglichkei- ten
aufzuzeigen und zu erklären? B.
SIEBENHÜNER, 2001
Zweifellos handelt es sich hier um sehr
bedeutsame und wichtige Fragen, welche auf
Bedingungen der Möglich- keit einer Umsetzung von
Nachhaltigkeit abzielen, aber
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5These
Das Problem einer (globalen) nachhaltigen
Ent- wicklung lässt sich über ein normatives
Menschen- bild nicht hinlänglich lösen, weil die
Eigendynamik gesellschaftlicher Teilsysteme die
Handlungs- potenziale der Subjekte erheblich
einschränkt.
Zur Begründung soll die Ausgangsfrage zunächst
deskriptiv interpretiert werden. Anschließend
soll gezeigt werden, dass die Dominanz und
Eigendynamik des ökonomischen Systems und des
Politiksystems sowie deren jeweils inhärente
Systemrationalitäten gegenwärtig mit
Notwen- digkeit einer nachhaltigen Entwicklung
entgegenstehen.
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6Beispiele für praktizierte Nachhaltigkeit?
Im Verlaufe der Menschheitsgeschichte gab es
immer wieder (zumindest auf regionaler Ebene)
Beispiele für praktizierte Nachhaltigkeit, sogar
in Lebensräumen, die extrem labile Ökosysteme
darstellen
Indianerstämme an der Nordwestküste Nordamerikas
- Jäger und Sammler mit erstaunlich hoher
kultureller Vielfalt und Kom- - plexität sowie sozialer Differenzierung, hohe
Bevölkerungsdichte, perma- - nente Siedlungen mit teilweise mehr als 1.000
Einwohnern.
- Nahrungsbasis reiche Lachsbestände der
küstennahen Flüsse. Problem - Durch Überfischen besteht die hohe Gefahr einer
Zerstörung der Haupt- - nahrungsquelle.
- Dieses (sehr störanfällige) Mensch-Umwelt-System
konnte aber über - sehr lange Zeiträume bestehen.
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7Beispiele für praktizierte Nachhaltigkeit?
Indianerstämme an der Nordwestküste Nordamerikas
- Hochentwickelte Technologie der Konservierung
und Vorratshaltung - Überflussproduktion und Akkumulation privaten
Eigentums als religiös - motivierte Werte.
- Fangmenge und Fangzeit der Lachse wurden durch
Rituale und Tabus ge- - steuert.
- Potlach-Zeremonie (feierliche Geschenkverteilung)
hebt die ungehemmte - Akkumulation persönlichen Reichtums auf (war
wichtige Motivation der - Überflussproduktion!) und gleicht soziale
Disparitäten (auch zwischen be- - nachbarten Stämmen) wieder aus.
Die Mensch-Umwelt-Interaktion wurde durch
religiöse Werte gesteuert, wodurch ein
Gleichgewicht zwischen Nutzungs- system und
Nahrungsbasis hergestellt werden konnte.
Gleichzeitig wurden dadurch auch ökonomische und
soziale Beziehungen geregelt.
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8Beispiele für praktizierte Nachhaltigkeit?
Tsembagas, Neuguinea
- Beispiel für die langfristig stabile Nutzung
eines höchst störanfälligen und auf - Eingriffe rasch mit Degradationserscheinungen
reagierenden naturalen Öko- - systems, nämlich des tropischen Bergwaldes.
Intensive Gartenbaukultur mit - Schweinehaltung auf der Grundlage eines
Brandrodungs-Wanderhackbaues, - ergänzt durch Jagd und Fallenstellen.
- Das Mensch-Umwelt-System wird durch einen sehr
komplizierten Zyklus von - Ritualen gesteuert, die alle Lebensbereiche
betreffen und sowohl die stam- - mesinternen Sozialbeziehungen als auch die
Beziehungen zu benachbarten - Gruppen lenken und gleichzeitig das System der
Landnutzung regulieren.
Nachhaltigkeit (ökologische, ökonomische und
soziale) ist nicht im Subjekt, sondern im
soziokulturellen System verankert!
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9Nachhaltigkeit in der Zweiten Moderne
Ist Nachhaltigkeit als hochrangiger Wert in
unserem gegenwärtigen soziokulturellen System
verankert?
Die Antwort ist eindeutig
Offensichtlich ja!!!
Nachhaltigkeit ist zweifellos ein Leitbild, das
hohe gesell- schaftliche Anerkennung besitzt, von
praktisch allen politi- schen Kräften vertreten
wird, in den Programmen fast aller politischen
Parteien vorkommt und in unzähligen
Gesetzestexten verbindlich vorgeschrieben wird.
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10Nachhaltigkeit als Leitbild in der Raumordnung
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11Praktizierte Nachhaltigkeit?
42 aller Gebäude im Flachgau stehen im Grünland!
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12Praktizierte Nachhaltigkeit?
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13Eine Gretchenfrage
Warum wird Nachhaltigkeit gegenwärtig kaum
praktiziert, obwohl sie in den gesell- schaftliche
n Wertesystemen sehr gut verankert ist?
Zur Beantwortung dieser Frage erscheint es
hilfreich, auf die Theorie sozialer Systeme von
Niklas LUHMANN zu verweisen.
Die besprochenen Beispiele praktizierter
Nachhaltigkeit beziehen sich auf segmentäre
Gesellschaften, für die eine einheitliche
Gesamtstruktur gesellschaftlicher
Teil- funktionen charakteristisch ist.
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14Funktionale Differenzierung der Gesellschaft in
der Moderne
Für die Gesellschaftssysteme der Moderne ist aber
als gleichsam evolutionäre Errungenschaft eine
hochent- wickelte funktionale Differenzierung
charakteristisch (Talcott PARSONS).
Niklas LUHMANN hat dieses Konzept erweitert und
be- sonders auf die Autonomie der einzelnen
Funktionssysteme verwiesen.
Diese Autonomie ergibt sich daraus, dass es sich
bei den Funktionssystemen um autopoietische
Systeme handelt, die sich mithilfe binärer Codes
von ihrer Umwelt abgrenzen und sich durch die
daraus resultierenden spezifischen Operationsweise
n selbst reproduzieren.
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15Spezifische Operationsweisen der
gesellschaftlichen Teilsysteme
Leitdifferenz des Wirtschaftssystems
Zahlen/Nichtzahlen, Gewinn/Verlust
Leitdifferenz des Rechtssystems
Recht/Unrecht
Leitdifferenz des Politiksystems
Gewählt-werden/Nicht-gewählt-werden,
Regierung/Opposition
Die Logik der Systemoperationen wird durch die
jeweiligen Leitdifferenzen bestimmt. Eine
Einflussnahme der Umwelt (anderer Teilsysteme)
ist bestenfalls als Irritation möglich.
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16Charakteristika des Wirtschaftssystems in der
Zweiten Moderne
- Globalisierung
- Global Sourcing, globaler Wettbewerb
- Emanzipation der Geldwirtschaft von der
Realwirtschaft, - Ausbildung einer Casinoökonomie
- Zwang zur Kostensenkung (Kostensenkungsspirale)
in - der Realökonomie (Produktion und
Dienstleistungen)
Es gibt keine Wettbewerbsbegrenzungen, es muss
jede Möglichkeit der Kostensenkung genutzt
werden, die Maxi- mierung von Rendite und
Dividende (Shareholderprinzip) steht im
Vordergrund.
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17Möglichkeiten der Umsetzung
- Extreme Risikobereitschaft
- Hemmungslose Externalisierung von Kosten
- Stakeholder-Interessen müssen unberücksichtigt
- bleiben
- Hauptquelle der Kostenreduktion Reduzierung und
- Prekarisierung von Arbeitsplätzen
Wenn es eine Möglichkeit gibt, Kosten zu
reduzieren und Gewinne zu erzielen, dann wird
sie auch genutzt.
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18Die Folgen
Die Eigendynamik und Autonomie des
Wirtschaftssystems führen mit Notwendigkeit dazu,
dass (globale) Nachhaltigkeit nicht
praktiziert werden kann. Davon sind alle drei
Dimensionen von Nach- haltigkeit betroffen.
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19Die Folgen
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20Politiksystem
Die Handlungslogik des Politiksystems wird durch
die Leit- differenz Gewählt werden versus
Nicht gewählt werden (Regierung versus
Opposition) bestimmt.
Praktizierte Nachhaltigkeit kann für das
Politiksystem erst dann ein Thema werden, wenn
durch die Umsetzung dieses Ziels Wählerstimmen
maximiert werden können.
Könnte dies nicht durch den homo sustinens als
Wählermajorität bewirkt werden?
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21Eine notwendige VoraussetzungReduktion sozialer
und regionaler Disparitäten
Wer marginalisiert und unter prekären Umständen
sein Leben fristet, wird kaum bereit sein können,
sich das Menschenbild des homo sustinens zu eigen
zu machen.
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22Fazit
Quelle http//www.pfuschi-cartoon.ch/live_cartoon
s/Nachhaltigkeit.html
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23Conclusio
Das Menschenbild des homo sustinens ist unter den
Rahmenbedingungen der Zweiten Moderne
wahrscheinlich eine notwendige, keinesfalls aber
eine hinreichende Bedingung der Möglichkeit
globaler Nachhaltigkeit.
Wider die Privatisierung der Nachhaltigkeit. Na
chhaltige Entwicklung ist eine öffentliche
Angelegenheit, die in der Polis ausgetragen
werden muss. A. GRUNWALD, 2010, S. 178
Ein zusätzliches Problem Der soziale
Metabolismus!
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24Conclusio
Solange es nicht gelingt, den neoliberalen
Turbokapitalismus zu zähmen und die Eigendynamik
dieses hegemonialen ge- sellschaftlichen
Teilsystems am Konzept der Nachhaltigkeit auszuric
hten, wird auch eine Umsetzung des
Menschen- bildes eines homo sustinens nichts
Entscheidendes am Status quo ändern.
Deshalb ist das Politiksystem unsere einzige
(wenngleich äußerst bescheidene) Hoffnung, eine
praktizierte Nachhaltigkeit auf globaler Ebene
zu verwirklichen.
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