Title: Der Bindungsstil - Personenmerkmal oder Beziehungsmerkmal?
1Der Bindungsstil - Personenmerkmal oder
Beziehungsmerkmal?
2Bindungstheorie (Bowlby, 1975)
- Bindungsverhalten (hat Nähe der Bezugsperson zur
Folge, z.B. Schreien, Nachlaufen) - Fürsorgeverhalten (komplementär dazu)
- Bindung (Resultat vieler Interaktionen mit
Bindungs- und Fürsorgeverhalten) - Bindungsstile (interindividuelle Unterschiede)
3Bindungsstile bei Kindern
- sicher leiden bei Weggang der Mutter, lassen
sich nach deren Rückkehr leicht trösten, haben
feinfühlige Mütter - ängstlich leiden auch, lassen sich nicht
trösten, sind sowohl ärgerlich als auch
klammernd, Mütter sind inkonsistent im
Fürsorgeverhalten - vermeidend lassen sich bei Weggang der Mutter
nichts anmerken, begrüßen sie nicht nach deren
Rückkehr, zeigen aber heftige physiologische
Reaktionen, Mütter vermeiden Körperkontakt und
sind eher zurückweisend - ängstlich-vermeidend (desorganisiert) zeigen
Verhalten ängstlicher und vermeidender Kinder,
bizarre widersprüchliche Verhaltensweisen, z.B.
Annäherung mit abgewendetem Kopf, Mütter haben
gehäuft Verlust- oder Missbrauchserfahrungen
4Bindungsstile bei Erwachsenen
- sicher suchen in angemessener Weise Hilfe und
Unterstützung - ängstlich zeigen zu viel Bindungsverhalten,
befürchten, zurückgewiesen oder verlassen zu
werden - vermeidend zeigen kaum Bindungsverhalten, fühlen
sich schnell eingeengt, wollen ihre Probleme
selbst lösen, vermeiden emotionale Nähe aus
Desinteresse - ängstlich-vermeidend vermeiden emotionale Nähe
aus Angst vor Zurückweisung
5Bindungstheorie (Bowlby, 1975)
6Grundannahmen
- Auch Erwachsene zeigen Bindungsverhalten, z.B.
gegenüber den Eltern, Geschwistern, Freunden und
insbesondere in Paarbeziehungen. - Die Erfahrungen aus der Kindheit beeinflussen das
Bindungsverhalten im Erwachsenenalter. - HypothesenBindungsstile sind über die Zeit
stabil und generalisieren über verschiedene
Bezugspersonen.
7- Mutter Mutter Mutter Mutter
-
-
Vater -
-
Geschwister -
-
Freund -
-
Partner -
-
-
Zeit
8Innere Arbeitsmodelle
- kognitive Schemata über sich selbst, die
Bezugsperson, die Beziehung, wahrscheinliche
Interaktionsabläufe, die vorausschauend geplant
werden können - ändern sich nur bei gravierenden Erfahrungen (Tod
der Bezugsperson, Trennung) - bestätigen sich immer wieder selbst durch
Selbst-erfüllende-Prophezeiungen - Schemata sind Merkmale der Person, nicht der
Beziehung kann man von Persönlichkeits-merkmalen
sprechen??
9Ergebnisse zur Stabilität
- Bei Kindern ändern sich Bindungsstile, wenn sich
die Eltern trennen, sehr krank werden oder
sterben. - Bei Erwachsenen liegt die Stabilität bei 70
(Bindungsstile) bzw. r .50 (Bindungs-dimensionen
bzw. Grad der Bindungssicherheit). - Bei Erwachsenen ändern sich Bindungsstile in
Abhängigkeit von der Persönlichkeit und von
Lebensereignissen (neue Partnerschaft, Trennung,
Heirat) - Fazit Bindungsstile ändern sich, wenn sich
Beziehungen ändern, Bindungsstil als
Beziehungsmerkmal?
10Ergebnisse zur Generalisierung
- Cook, 2000La Guardia, Ryan, Couchman und Deci,
2000mäßige Korrelationen zwischen der
Bindungssicherheit zu verschiedenen
Bezugspersonen - Cozzarelli, Hoekstra und Bylsma, 2000mäßige
Korrelationen zwischen allgemeinem und
partnerbezogener Bindungssicherheit - Ross und Spinner, 2001mäßige Korrelationen (max.
r .50) in Bindungsskalen zu 4 selbst
ausgewählten Personen und der allgemeinen
Bindungssicherheit
11Methodische Möglichkeiten
- (Collins Read, 1990)
- Korrelationen der Bindungssicherheit zu
verschiedenen Bezugspersonen - Korrelationen zwischen allgemeiner und
beziehungsspezifischer Bindungssicherheit
Menschen allgemein
Mutter
Vater
Bruder
Freundin
Ehemann
12Methodische Probleme
- Korrelationen der Bindungssicherheit zu
verschiedenen Personen haben keinen Grenzwert, ab
wann man davon sprechen kann, dass es sich um ein
und dasselbe Konstrukt handelt. - Besser Mittels Strukturgleichungsmodellen Anzahl
der Faktoren prüfen.
13Methodische Probleme
- Messung der generalisierten Bindungssicherheit
setzt bereits voraus, dass diese generalisiert.
Die Sinnhaftigkeit eines solchen Konstrukts muss
erst nachgewiesen werden. - Fragen nach der generalisierten
Bindungssicher-heit kaum beantwortbar, ohne an
konkrete Personen zu denken (z.B. an einen
weiteren Freund). - Befragte versuchen Redundanz zu vermeiden und
über weitere Personen Auskunft zu geben, die
vermutlich keine Bindungspersonen sind. - Besser allgemeine Bindungssicherheit als Summe
der Einzelangaben berechnen, Reliabilität und
Validität prüfen.
14Stichprobe
- 130 Personen mit allen 5 Beziehungen(281 gesamt)
- 43 Männer, 87 Frauen
- Alter 19-48, MW28
- bis auf 3 alle mit Abitur
- 60 in Ausbildung / Studium, 30 halbtags, 37
ganztags berufstätig, 3 arbeitslos
15Messinstrument
- Bindungsfragebogen (1999) mit den Skalen Angst
und Vermeidung bezogen auf Partner, Freund,
Mutter, Vater, Geschwister - Allgemeine Angst und Vermeidung als Mittelwert
über die fünf Beziehungen - Beziehungszufriedenheit
16(No Transcript)
17Konfirmatorische FA Angst
5 Faktoren Mutter Vater alle Cov 1
Chi² 602.39 df 265 785.29 df 266 1669.18 df 275
Chi²-Differenz 182.9 (krit. 3.84) 1066.79 (krit. 18.31)
RMSEA 0.0993 0.1230 0.1982
CFI 0.8496 0.7685 0.3784
NNFI 0.8297 0.7389 0.3219
NFI 0.7631 0.6912 0.3436
18Interkorrelation der Faktoren (A)
Freund Mutter Vater Geschwister
Partner .20 .41 .25 .28
Freund .28 .26 .34
Mutter .53 .53
Vater .40
19Konfirmatorische FA Vermeidung
5 Faktoren Mutter Vater alle Cov 1
Chi² 838.81 df 265 908.76 df 266 1151.11 df 275
Chi²-Differenz 69.95 (krit. 3.84) 312.3 (krit. 18.31)
RMSEA 0.1296 0.1369 0.1572
CFI 0.6425 0.5995 0.4541
NNFI 0.5953 0.5483 0.4045
NFI 0.5597 0.5230 0.3957
20Interkorrelation der Faktoren (V)
Freund Mutter Vater Geschwister
Partner .33 .36 .26 .48
Freund .36 .20 .45
Mutter .73 .68
Vater .68
21Innere Konsistenzen
- Skala Angst (n 117) Vermeidung (n 118)
- Gesamtskala .76 .73
- Partner .91 .78
- Freund .90 .79
- Mutter .88 .89
- Vater .91 .89
- Geschwister .93 .85
- Cronbachs Alpha korrigiert nach Spearman-Brown
22Signifikanztest nach Feldt (1980)
- Angst Vermeidung
- Partner 7.16 1.31
- Freund 6.00 1.68
- Mutter 5.73 8.49
- Vater 8.03 7.85
- Geschwister 10.29 5.49
- signifikant (getestet gegen t 1.98), df 120
23Validitätsvergleich (Kriterium
Beziehungszufriedenheit)
Angst Partner Freund Mutter Vater Geschw
gleiche Beziehung -.44 -.46 -.46 -.52 -.45
4 andere Beziehungen -.10 -.24 -.38 -.37 -.14
z-Werte 3.63 2.45 1.17 2.08 3.95
Testverfahren Steiger, 1980
24Validitätsvergleich (Kriterium
Beziehungszufriedenheit)
Vermeidung Partner Freund Mutter Vater Geschw
gleiche Beziehung -.54 -.16 -.47 -.57 -.36
4 andere Beziehungen -.11 -.05 -.13 -.08 -.11
z-Werte 4.84 1.06 5.07 6.91 3.70
25Fazit
- Methodisch bisher keine Entscheidung möglich, ob
Bindungssicherheit generalisiert, nur indirekte
Verfahren. - Ergebnisse sprechen aber gegen Generalisierung.
- Kognitive Schemata passen sich offenbar flexibler
an die jeweilige Beziehung an als bisher
vermutet. - Bindungsrepräsentationen sollten als
Beziehungsmerkmale, nicht als Personenmerkmale
aufgefasst werden. - Therapeutische Interventionen sollten sich
weniger auf die Aufarbeitung der
Beziehungsgeschichte als auf aktuelle Beziehungen
richten. - Der Nachweis der diskriminanten Validität der
Skalen zur Bindung in Freundschaften und
Geschwisterbeziehungen eröffnet weitere
Forschungsperspektiven.
26Fragen
- Wie stabil sind Bindungsdimensionen?
- Lässt sich die Fluktuation durch die
Bindungsdimensionen des Partners erklären? - Lässt sich die (querschnittlich bekannte)
Paardynamik aufzeigen, nach der die Angst des
einen Partners die Vermeidung des anderen
steigert und umgekehrt?
27Längsschnittstudie (55 Paare, 30 J., 12 J. Bez.,
1 Jahr Abstand)
28Stabilität
- beträgt .70 (außer Angst des Mannes .80).
- Durchschnittliche Änderung 0.6 Skalenpunkte
- Maximale Änderung 4 Skalenpunkte (Skala 1-7)
29Querschnittlich, 2. Zeitpunkt
.32
.50
.16
.45
.53
.68
.03
-.26
30Längsschnittlich
.09
.63
.23
.34
.36
.35
.22
-.05
31Residuen (Veränderung)
.18
.47
.34
.23
.30
.03
.16
-.09
32Fazit
- Die Stabilität der Bindungsdimensionen beträgt
nach einem Jahr etwa r .70. - Die Veränderung in den Bindungsdimensionen lässt
sich zu ca. 18 durch die 1 Jahr zuvor erhobenen
Bindungsdimensionen des Partners erklären. - Angst fördert Vermeidung des Partners und
umgekehrt. - Befunde sind bei Männern eindeutiger.
- Die Dynamik der Bindungssicherheit in
Abhängigkeit vom Partner spricht gegen
Grundannahmen der Bindungstheorie. - Bei Paaren mit kürzerer Beziehungsdauer dürfte
die Dynamik noch ausgeprägter sein.