Title: Awareness
1 - Awareness
- und
- postoperatives kognitives Defizit
2 - Wachheit bei Narkosen gibt es seit den
Anfängen der Anästhesie 1845 gescheiterte
Lachgasanästhesie durch H. Wells 1846 erste
Äthernarkose durch W. Morton mit Erinnerung des
Patienten an den Eingriff - 1986 erste systematische Einteilung
intraoperativer Wachheit durch Jones Konieczko
1. keine Wachheit 2. Wachheit ohne
Erinnerung 3. Wachheit mit unbewußter
(impliziter) Erinnerung 4. Wachheit mit
bewußter (expliziter) Erinnerung - Abgrenzung von Wachheit und Erinnerungsleistung
Wachheit geht nicht grundsätzlich mit
bewußter Erinnerung einher und Gedächtnisprozesse
können bei nicht wachen Patienten ablaufen
3 - Diagnosestellung von Awareness erfolgt
normalerweise postoperativ zur Vermeidung ist
es wesentlich, die Narkosetiefe abzuschätzen bzw.
zu messen - Komponenten der Narkosetiefe sind die Blockade
der motorischen Reaktion sensorischen
Reaktion (Schmerzperzeption) mentalen
Reaktion (Bewußtsein und Erinnerung)
reflektorischen Reaktion (kardiovaskuläre und
neurovegetative Reflexe) - im klinischen Alltag Einsatz vegetativer
Parameter wie HF, RR, Pupillenweite, Tränenfluß,
Schweißsekretion (Cave Interaktion mit
Begleitmedikation) und Abwehrbewegungen
(Cave Relaxation, spinale Reflexe) als
Surrogatparameter - Entwicklung von Narkosetiefe Monitoring
Systemen (Narcotrend, Bispektral Index) auf
der Basis digitaler Weiterverarbeitung von EEG
und EMG Signalen Unzureichende Studienlage
zur Abschätzung der Effizienz dieser Systeme - Erhöhte Aufmerksamkeit erforderlich in
speziellen Situationen wie z. B.
versehentliche Unterbrechung der
Anästhetikazufuhr, Verwechslung von Medikation
wie Relaxansgabe vor Hypnotikagabe
4 - Diagnosestellung bei expliziter Wachheit durch
spontane Schilderung des Patienten Berichte
über Wachperionden immer ernst nehmen und
nachfragen (strukturiertes Interview) - Was ist das letzte an das Sie sich erinnern,
bevor Sie eingeschlafen sind? Was ist das
erste an das Sie sich erinnern, nachdem Sie
wieder aufgewacht sind? Haben Sie geträumt
oder irgendetwas wahrgenommen, während Sie
schliefen? (falls positiv, nachfragen welche
Wahrnehmung auftrat akustisch, visuell,
taktil?) Was war das Unangenehmste im Rahmen
der Operation? Was war das nächst
Unangenehme? - offene Fragen verwenden, Suggestion vermeiden
Differenzierung zwischen Trauminhalten und
Wachheitserlebnissen kann diffizil sein - bester Zeitpunkt für eine Befragung ist
unklar, aus Studien zur Inzidenz ist bekannt,
das Patienten am postop. Tag keine Erinnerung
angaben in Folgeinterviews positiv waren - wesentlich schwieriger ist die Diagnose der
Wachheit mit impliziter Erinnerung Erfassung
nur indirekt mit psychologischen Testverfahren
möglich implizite Gedächtnisbildung in
Allgemeinanästhesie ist möglich und die Inzidenz
ist vermutlich hoch
5 - Inzidenz liegt bei 0,1-1 und ist laut neueren
Studien eher rückläufig Inzidenz bei Kindern
vermutlich höher 0,8-2,7! - Erinnerungsinhalte Hörwahrnehmung (85-100),
Angst (78-92), Lähmung (60-89),
Operationsdetails (64), Hilflosigkeit (46),
Sehwahrnehmung (27-46), Schmerz (40) - Folgen intraoperativer Wachheit können
gravierend für den Patienten sein Entwicklung
einer posttraumatischen Streßreaktion ist möglich
akute (1-3 Monate) und chronische Form (gt 3
Monate) Schlüsselsymptome Wiedererleben
des Traumas Alpträume, Flashbacks, quälende
Erinnerungen Vermeidungssymptome Vermeidung
von Aktivitäten, Orten, Gesprächen zum Trauma
Emotionalitätsstörung Interesselosigkeit,
Entfremdung, eingeschränkte Emotionalität
Übererregtheit Schlafstörungen, Reizbarkeit,
Konzentrationsstörung, Schreckhaftigkeit - Behandlung psychotherapeutisch, psychiatrisch
- CAVE Benzodiazepine bewirken keine sichere
retrograde Amnesie Gabe kann im
Einzelfall erwogen werden, Dosisempfehlung gibt
es nicht
6 - anamnestische Risikofaktoren
Drogen-/Medikamentenmißbrauch anamnest.
Awarenessepisoden schwierige Intubation
chron. Schmerztherapie (Opiate) ASA IV oder V
eingeschränkte Hämodynamik
- Eingriffsabhängige Risikofaktoren
Kardiochirurgische Eingriffe Sectio caesarea
Unfallchirurgische Eingriffe
Notfalleingriffe Reduktion von Anästhetike
bei vorhandener Relaxation Nachrelaxation
Lachgas/Opiatanästhesie
7 - Prophylaxeempfehlung der ASA Task Force
Awareness - standardisierter Gerätecheck mit Überprüfung
des Gerätes (Vapor!), der Infusionspumpen,
des venösen Zugangs mit Konnektionen, Benutzung
von Rückschlagventilen Ziel Sicherstellung
einer korrekten, dosisgerechten Applikation der
Anästhetika - intraoperatives Monitoring EKG, RR,
Kapnometrie, endtidale Konzentration volatiler
Anästhetika klinische Überwachung
insbesondere motorischer Reaktionen
Narkosetiefemonitore (Narcotrend, Bispektral
Index) werden im Einzelfall empfohlen, da
bislang keine Studie die Reduktion von
Wachheitserlebnissen belegt! - Fazit für die Praxis Risikopatienten und
Eingriffe identifizieren Gerätecheck bei
auffälligem Narkoseverlauf nachfragen (siehe
strukturiertes Interview) Patienten mit
Symptomen ernst nehmen psychotherapeutische
Intervention bei Symptomen, die gt 4 Wochen
andauern
8 - Postoperatives kognitives Defizit
charakterisiert durch Gedächtnisstörung,
Lernschwierigkeiten, Konzentrationsschwäche - relevante perioperative Komplikation mit den
potentiellen Folgen einer beeinträchtigten
postoperativen Mobilisation, Verlängerung des
stationären Aufenthalts, potentieller
deliranter oder dementieller Entwicklung und
erhöhter Mortatiltät - Inzidenz variiert in Abhängigkeit der
individuellen Patientenkonstellation von 3-60
Persistenz nach 1,5 Jahren bei noch 1! - Terminologie uneinheitlich, viele Synonyme mit
klinischen Überlappungen Durchgangssyndrom,
Delir, Verwirrtheit, kognitive Dysfunktion,
Demenz - Störungen des Kurzzeitgedächtnisses (
Arbeitsgedächtnis/Bewußtsein) werden durch
elektrochemische Erinnerungsabläufe von weniger
als 10 sek prozessiert Störungen führen zu
kognitivem Defizit, Delir, Verwirrtheit und
Durchgangssyndrom - Alt- und Neuzeitgedächtnis sind über
Proteinbiosynthese und synaptische Transmission
geregelt, Störungen des Langzeitgedächtnisses
münden in eine Demenz
9 kognitive Störung Gedächtnis Lernfähigkeit Konzentration geistige Ermüdung nur in Verbindung mitkörperlicher Erkrankung nicht so schwerwiegend wie beiDelir oder Demenz
Delir Gedächtnis, Denken Bewußtsein, Aufmerksamkeit Wahrnehmung, Emotionalität Psychomotorik Schlaf-Wach-Rhythmus exogenes Delir psychoorganisches Syndrom hirnorganisches Syndrom Psychose bei Infektion Verwirrtheit (nicht alkoholbedingt)
Demenz Gedächtnis, Denken Orientierung, Urteilsvermögen Auffassung, Lernfähigkeit Rechnen, Sprache Kognition Alzheimer Krankheit vaskuläre Demenz präsenile/senile Demenz Demenz bei anderenErkrankungen
10 - Pathogenetisch sind das Vorliegen eines
cholinergen Defizits und/oder ein Überschuß
monoaminerger Neurotransmission (Dopamin,
Noradrenalin, Serotonin) belegte Hypothesen
für das Auftreten kognitiver Störungen - Inzidenz und Ausprägung kognitiver Störungen
stehen in Abhängigkeit zur individuellen
Vulnerabilität des Patienten und zum Schweregrad
der perioperativen Noxe - alte, multimorbide Patienten können bei
geringen Noxen (Hospitalisation, Exsikkose) eine
Hirnleistungsstörung entwickeln - bei Patienten ohne Prädisposition ist eine
ausgeprägte Noxe ( extrakorporale Zirkulation,
Unterbrechung der zerebralen Zirkulation)
erforderlich, um ein kognitives Defizit zu
erzeugen - Für des Auftreten eines postoperativen
kognitiven Defizits sind patientenbezogene,
operative und medikamentenbezogene Risikofaktoren
identifiziert Medikamenteneffekte sind in
Hinblick auf Arzneimittelinteraktionen und deren
Wirkung auf den Metabolismus besonders
unübersichtlich
11 patientenbezogene Faktoren operative Faktoren medikamentöse Faktoren
hohes Lebensalter Diabetes mellitus Elektrolytstörungen Schilddrüsendysfunktion KHK, Linksherzinsuffizienz pAVK Fieber, Inflammation, Sepsis Depression, Demenz Alkoholabusus niedriger Ausbildungsgrad Dauer des Eingriffs Herzchirurgie (EKZ) Extremitätenchirurgie (prothetisches Material) gefäßchirurgische Operationen neurovaskuläre Operationen Augenoperationen Anticholinergika (Atropin, Scopolamin) Psychopharmaka (trizyklische Antidepressiva) Immunmodulatoren (Kortikoide, Promethazin) Chemotherapeutika (Gyrasehemmer, Penicillin, Aciclovir, Sulfonamide, Antimykotika) Kardiaka (ACE Hemmer, ß-Blocker, Digoxin, PDE Hemmer, Lidocain) Anästhetika (Benzodiazepine, Barbiturate, Opiate, Ketamin) H2-Rezeptorantagonisten (Cimetidin, Ranitidin)
12 - Anästhesiologische Vorüberlegungen
Korrektur metabolischer Störungen, Therapie
neuropsychologischer Defizite, Optimierung
der Begleitmedikation, Planung einer suffizienten
Thromboembolieprophylaxe und einer adäquaten
postoperativen Schmerztherapie in der
präoperativen Phase - Wahl des Anästhesieverfahrens und der
Anästhetika mehrere Studien belegen keinen
Unterschied zwischen Regionalanästhesieverfahren
und Allgemeinanästhesie hinsichtlich des
Auftretens kognitiver Störungen - rasche Ausleitung nach AA führt zu geringerer
mentaler und metabolischer Belastung - moderne Anästhetika mit kurzer
kontext-sensitiver Halbwertszeit bzw. niedrigem
Blutgas- verteilungskoeffizienten bieten
Vorteile bei der Versorgung von Risikopatienten - Fehler und Gefahren bei gefährdeten
Patienten kein Einsatz langwirksamer Substanzen
sondern Einsatz von kurzwirksamen
Medikamenten mit guter Steuerbarkeit
Midazolam, Propofol, Methohexital, Sevofluran,
Desfluran, Remifentanil sind geeignet Atropin
und Pethidin sollten vermieden werden
13 - Medikamente im Einzelnen
- Benzodiazepine Anxiolyse gilt als
protektiv, vermutlich gibt es eine milde
hirnprotektive Wirkung paradoxe (delirante)
Reaktionen sind möglich, die Aufwachzeit wird
verlängert keine Gabe im Rahmen einer TIVA,
langwirksame Substanzen vermeiden (Diazepam,
Flurazepam (Staurodorm), Flunitrazepam
(Rohypnol)) - Barbiturate langwirksame Substanzen sind
kontraindiziert, Methohexital für TIVA evtl.
geeignet zur Einleitung geeignet sind
Methohexital und Thiopental Thiopentalgabe
bei EKZ evtl. protektiv - Propofol definitiv geignet für Einleitung
und TIVA aufgrund seiner pharmakodynamischen
Eigenschaften, neuroprotektive Eigenschaften im
Tierexperiment beschrieben - Ketamin NMDA Rezeptor Antagonist mit
analgetischer und mäßiger hypnotischer Wirkung
neuropsychologische Auffälligkeiten für
razematisches und für S-Ketamin beschrieben
24h nach Propofol/S Ketamin kein Unterschied zu
Propofol/Remifentanil
14 - Medikamente im Einzelnen
- Inhalationaanästhetika delirantes
Aufwachverhalten für alle volatilen Anästhetika
beschrieben (Kinder!) kein Unterschied von
Sevofluran und Desfluran bzgl. des Einflußes auf
kognitive Defizite neuroprotektive Wirkung
volatiler Anästhetika ist experimentell belegt - Opiate Schmerz ist ein wesentlicher
Ko-Faktor für das Auftreten postoperativer
kognitiver Defizite Opiate intravenös und
regionalanästhesiologisch indiziert zur
Sicherstellung einer suffizienten Analgesie,
die das Auftreten postoperativer kognitiver
Defizite reduziert Vorteile für Remifentanil
gegenüber Fentanyl bzgl. der Erholung kognitiver
Fähigkeiten Pethidin sollte wegen seiner
anticholinergen Wirkung vermieden werden - Anticholinergika Verarmung an zentralem
Acetylcholin ist eine pathopysiologische
Erklärung für das Auftreten postoperativer
kognitiver Defizite, daher Vermeidung von
Atropin und Scopolamin bei prädisponierten
Patienten anti-bradycarde Therapie und
Sialostase können durch Glycopyrrolat erfolgen
15 - adjuvante Interventionen ohne Evidenz
- Management des Perfusiondruckes Aufhebung
der Autoregulation durch zerebrovskuläre
Erkrankungen, Neurotrauma, hohe
Konzentrationen von Inhalationsanästhetika, lang
bestehende art. Hypertonie individuell kann
daher ein "normaler" Perfusionsdruck zu
Minderperfusion führen einige Studien zeigen
einen Einfluß art. Hypotension als Ko-Faktor für
ein kognitives Defizit ein normaler bzw.
altersadaptierter Perfusionsdruck sollte
angestrebt werden - Anämie mangelnde O² Transportkapazität
kann durch hypoxische Provokation ein kognitives
Defizit generieren, eine bestimmte Hb Grenze
ist nicht gesichert bei Langzeitbeatmeten
(gt36h) war ein niedriger Hb prädiktiv für ein
kognitives Defizit bei Gesunden geht ein Hb lt
6g/dl mit Reduktion von Reaktionszeit und
Gedächtnis einher - Plasmaglukose Konzentration Diabetiker
sind prädisponiert für das Auftreten kognitiver
Störungen (Mikroangiopathie) Hyperglycämien
mit Zunahme einer Lactazidose verschlechtern die
Situation insbesondere bei Patienten mit
zerebralen Durchblutungsstörungen eine
Plasmaglucosekonzentration zwischen 100-150mg/dl
wird empfohlen
16 - Management von PaO² und PaCO² Hypoxie bis
5 Tage nach kardiochirurgischen Eingriffen
korreliert mit dem Auftreten kognitiver
Dysfunktion (anaerobe Glycolyse mit Störung der
zerebralen Homöostase) CO² Reagibilität der
Hirngefäße begünstigt zerebrale Fehlfunktionen
insbesondere bei hypokapnisch bedingter
Vasokonstriktion ohne gleichzeitige Reduktion des
Hirnstoff- wechsels eine Ventilation
mit ausreichender Oxygenierung und Normokapnie
ist anzustreben - Perioperative Fehler und Gefahren
Perioperativ ist der Patient gefährdet durch
starke Blutdruckschwankungen oder eine
zerebrale Minderperfusion bei niedrigem
zerebralen Perfusionsdruck Hypovolämie und
Anämie sind zu vermeiden Beatmungsadaptation
mit stabilem PaO² und eher hochnormalen PaCO²
Werten Einstellung der Plasmaglucosekonzentra
tion in einem Bereich von 100-150mg/dl
17 - Diagnose und Therapie eine spezielle
Therapie des postoperativen kognitiven Defizits
ist nicht bekannt Prävention und frühzeitige
Diagnose sind essentiell, um Ursachen und
assoziierte Faktoren zügig zu beseitigen, der
multifaktorielle Ursprung muß beachtet werden - Diagnosestellung erfolgt klinisch und ggf.
über neuropsychologischeTests, die subtile
Störungen allerdings nicht sicher erfassen - evtl. Korrelation mit bestimmten EEG Mustern
(unregelmäßige Delta- und Theta Wellen) evtl.
Korrelation mit neuronenspezifischem
Schädigungsmarker S-100 im Serum - medikamentöse Therapie mit Haloperidol oder
Risperidon bei hyperaktiven Patienten
Benzodiazepine mit kurzer HWZ! nur vorsichtig
einsetzen - Prävention durch Maßnahmen wie Vermeidung von
Lärm, hellem Licht, Isolation, häufigem
Wechsel der Umgebung und der Bezugspersonen,
möglichst kurzem Aufenthalt im KH - Cave Übersehen des postoperativen
kognitiven Defizits, insbesondere der nicht
agitierten stuporösen Form mit hohem Risiko
einer Progredienz
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